Glauben entfalten und wieder zusammenfinden – Zu einem Leporello und dem Apostolischen Glaubensbekenntnis – Am Reformationstag 2017 (Pfr. M. Neugber)

Um Jesu Willen von Gott geliebte Gemeinde,
Gnade sei mit euch als Gemeinschaft des Heiligen Geistes.
Amen.

Dies Leporello muss man entfalten. Dann zeigen sich 12 Kirchenfenster nebeneinander, welche die 12 Apostel Jesu darstellen. 12 Apostel, 12 unterschiedliche Charaktere, 12 einmalige Menschen, die ganz unterschiedlich und persönlich entfaltet haben, was sie mit Jesus erlebt haben, und durch ihn neu von erfahren haben. 12 – eine bunte Schar, die Jesus berufen hat als Symbol für das Volk Gottes, das Zukunft haben soll. Als Volk Israel und darum herum Menschen aus aller Welt – wie er versprach: Seht, ich gehe euch voran…

Lukas malt uns in seiner Apostelgeschichte das Bild von der einen Urgemeinde in Jerusalem aus. Doch zwischen den Zeilen seines Buches lässt sich erkennen: Es gab von Anfang an sehr unterschiedliche Urgemeinden, eine bunte Schar von Kirchen in Judäa, in Galiläa, im vorderen Orient.
Spätere Erzählungen überliefern, wie die Apostel als Einzelpersönlichkeiten ihren Weg in alle möglichen Länder der Welt gefunden haben. Thomas zum Beispiel soll bis nach Indien und möglicherweise noch weiter gekommen sein.
12 Apostel stehen sie für ganz unterschiedliche Weisen, Christ zu sein, Kirche zu bilden und die Form von Kirche zu denken.
Petrus etwa wird von der römisch-katholischen Kirche in Anspruch genommen, Thomas von den einstmals zahlreichen Thomaschristen in Südwestindien. Der, der hier nicht vorkommt, weil er erst später dazu kam, Paulus, von den evangelischen Kirchen. Aber eigentlich dachte Paulus sehr hierarchisch: Gott – Jesus – Paulus – Gemeinde. Also eher römisch-katholisch; zugleich aber betonte er das Wirken des Heiligen Geistes in der Gemeinde, d.h., pfingstliche Freikirchen könnten ihn auch für sich reklamieren.
Ich finde also in den 12 Aposteln sämtliche Formen wieder, wie Christentum sich zeigen kann. Gemeinden und Kirchen können sich so unterschiedlich zeigen, dass aus der Sorge, Jesu Christi Auftrag nicht gerecht werden zu können, diese Formen als Konfessionen sich gegenseitig den rechten Glauben und damit das Existenzrecht absprachen.
Die Sorge habe ich nicht. Denn hinter den Aposteln steht das Fundament, so, wie die eine Sonne diese 12 durchleuchtet. Das ist Jesus, wie er uns bezeugt wird in der Vielgestalt der Schriften des Neuen Testaments, und der eine Gott, wie er sich bezeugt in der Vielgestalt der Schriften des Alten Testaments .
Jesu Gebet um die Einheit trägt uns, Jesu Kreuz versöhnt uns – und dieser Weg zur Versöhnung und Einheit beginnt mit der Vielgestalt in der jungen Christenheit.

So gab es in den frühen Christentümern auch unterschiedliche Weisen, zu taufen. Etwa im 4. Jahrhundert beschlossen sie, gegenseitig die eine Taufe anzuerkennen. Ein ökumenischer Meilenstein.
In jener Zeit entstand der Vorläufer des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, dessen Worte verteilt unter den 12 stehen.

Denn das apostolische Glaubensbekenntnis wurzelt in der Taufpraxis der Kirche des Westens. Nach einem Jahr Taufunterricht, nach dem vorösterlichen Fasten als Vorbereitung, wurde der Täufling, der schon bis zum Hals im Wasser stand, vor seiner Taufe gefragt:
Glaubst du an Gott, den allmächtigen…
Glaubst du an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn…
Glaubst du an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche…
Dreimal Ja, ich glaube,
und dann folgte die Taufe im Namen des dreieinigen Gottes, Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Später entstand aus diesen Fragen der Text als Glaubensbekenntnis und entwickelte sich zum Taufbekenntnis in der Westkirche. Von da haben evangelische Kirchen es übernommen als Teil der Liturgie.
Katholische Schwestern und Brüder machen sich bewusst, dass sie als Getaufte an der Messe teilnehmen, in dem sie sich mit Wasser aus dem Weihwasserbecken bekreuzigen. Evangelische tun dies mit diesen Worten. D.h., eigentlich müssten wir Protestanten diese Worte gleich am Anfang des Gottesdienstes sprechen.

Alte Worte, nicht vom Himmel gefallen, Worte, die auf die Zeit der Apostel verweisen und zugleich auf die Taufe jedes Zeitgenossen, Menschenworte mehr nicht. Weniger nicht.
Denn Gott selbst hat es gewagt und wagt es immer noch, in ganz bestimmten menschlichen Denkarten, Sprechweisen und kulturellen Zusammenhängen zur Sprache zu kommen. Das Alte Testament ist eigentlich hebräisch, die Denkweise jüdisch und die Kultur altorientalisch. Jesus sprach aramäisch, vermutlich auch Latein und griechisch, seine Kultur war jüdisch und zugleich griechisch-lateinisch, antik geprägt halt. Unsere Kirchen hier in Westeuropa sind immer noch geprägt von der Geschichte und von griechischer Philosophie, wenn inzwischen auch von vielem anderem mehr. Die Ostkirchen sind wieder anders geprägt, nochmal anders die Kirchen in Afrika und Asien und dem fernen Osten und so weiter und so fort.

Wir stehen vor der gleichen Aufgabe wie die Christen der ersten 4 Jahrhunderte: Wir dürfen von je besonderen Erfahrungen mit Gott, mit Jesus, mit dem Heiligen Geist ausgehen. Darüber müssen wir uns austauschen. Mit Gottes Hilfe mögen wir zu einer gemeinsamen Sprache finden und entdecken, was uns bei aller Unterschiedlichkeit verbindet.
Wie schwer das ist, zeigen die Gespräche der unterschiedlichen evangelischen Konfessionen und dann auch der unterschiedlichen Großkonfessionen Ostkirchen – römisch-katholische Kirche – Altkatholische Kirche – Protestantische Kirchen – und dann wären da noch die vielen Freikirchen und Pfingstkirchen. Und jährlich entstehen neue.

500 Jahre Reformation heißt für mich, auch zu bedenken: Seit 2000 Jahren befinden sich Christen auf dem Weg zu einer Kirche, die einmütig Jesus als Christus bezeugt. Seit 2000 Jahren müssen sie sich immer neu auf eine gemeinsame Sprache verständigen, ohne sich mit ihren besonderen Erfahrungen und Begabungen verbiegen zu müssen. Auf dem Weg fragen sie immer neu, und das wäre gut reformatorisch:
Was glauben wir eigentlich gemeinsam?
Darum fragen Christen nach dem gemeinsamen Ursprung – also nach dem, was Jesus durch die ersten Apostel Jesus begründete und Gott ins Leben rief.

Re-Formation – und das heißt zunächst nicht unbedingt, alte Formeln nachzubeten oder gar sich um die Ohren zu schlagen.
Auch die alten Worte des Glaubensbekenntnisses empfinde ich eher als gute Fragen:
Wie hast du Gott erlebt?
Welche Erfahrungen hast du mit Jesus gesammelt?
Wie würdest du von den Momenten im Leben erzählen, von denen du sagen kannst: Hier habe ich in meinem Leben einen neuen, guten, heilsamen Geist gespürt?
Alte Worte, die ja einmal ganz neue Worte waren, ermuntern, dass auch wir in unserer Sprache über unsere Glaubenserfahrungen sprechen. Und auf Augenhöhe das Verbindende entdecken und für wahr nehmen.
Das ist ein langwieriger und deswegen spannender Weg. Denn wir entdecken dabei: So weit entfernt voneinander sind wir gar nicht. Und warum soll es uns besser gehen als den ersten Christen? Die mussten diesen Weg ja auch beschreiten, ehe sie zu den Worten fanden, wie sie uns etwa im Apostolischen Glaubensbekenntnis begegnen.
So bin ich dankbar, dass seit etwa einem halben Jahrhundert Reformationsgedenken nicht mehr heißt: Mir san mir und ihr liegt falsch, sondern eine offene Tür geworden ist: Wir laden euch ein, mit uns uns darauf zu besinnen, wozu uns Gott um Jesu willen heute in dieser Welt eigentlich noch braucht.

Auf dem Weg dorthin sind dann jedoch die alten Worte eine große Hilfe.
Vor Jahren haben wir im Kollegenkreis bei einer Fortbildung versucht, mit moderner Sprache das zu formulieren, was wir gemeinsam glauben, und zwar so, dass es auch Nicht-Protestanten so sprechen könnten. Merkwürdigerweise kamen wir zu dem Ergebnis:
Irgendwie schon genial, was da unseren Mitchristen aus den ersten Jahrhunderten geglückt ist. Wir haben keine besseren Worte gefunden.
Diese alten Worte sind eine gute Basis, die uns die Freiheit geben, das zu entfalten, was wir glauben – und zugleich sind sie ein Geschenk: wir können miteinander sprechen und beten, was uns eint.

Da wären z.B. die Worte:
„Empfangen durch den Heiligen Geist – geboren von der Jungfrau Maria.“
Wir bezeugen mit diesen Worten, dass auf dem Weg der wirklichen Menschwerdung des Menschen Gott einen Neuanfang gesetzt hat. Er selbst wurde Mensch, konkret mitten in der Welt, mitten in seinem Volk, mitten am Rand jeglicher Machtzentren, mitten in der Nacht – mitten in einer Jüdin.
„Also, nach 9 Monaten Schwangerschaft wurde da mal irgendwie irgend so ein Kind irgendwie geboren“
Nein, diese wunderbare Weise, wie Gott sein Leben für uns riskiert, und darum Jesus für uns nicht irgendwer ist, muss sprachlich besonders, sachlich und poetisch zugleich, ausgedrückt werden. Darum ist Jesu Mutter besonders zu würdigen, weil Gott ohne sie nicht handeln wollte.
Das wäre nun meine typisch protestantische Deutung. Die katholische ist anders, die der Ostkirche wieder anders – und gemeinsam sprechen wir:
Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria.

Ähnlich dann die heilige katholische Kirche:
In den evangelischen Kirchen hat man da katholisch gestrichen und durch christlich ersetzt.
Mir tut das weh. Das Christlich ist an dieser Stelle nichtssagend. Katholisch heißt: Wir bekennen uns als Christen rund um den Globus zueinander. Es ist der Auftrag zur Ökumene der Christen in dieser einen Welt für diese eine Welt. Kirchen sind kein Selbstzweck. Kirchen haben einen Auftrag, für Gott und mit Jesus etwas Heilsames in der Welt zu wirken. Sie gehören Gott – und Gott ist einer. Darum sind Kirchen verpflichtet, zusammen zu finden, wie auch immer das dann aussieht. Es kann und darf kein Gegeneinander von Christen geben, sondern ein miteinander – auch wenn es geschichtlich gewachsene Organisationen gibt. Selbstzufrieden sich zurückzulehnen „Mir san mir“ – das funktioniert eben nicht.
Wenn Gottes Geist wirkt, dann führt er zusammen und färbt zugleich lebensfroh bunt ein.
Das ist meine Sicht.
Und deine, lieber Bruder Bernd? Vermutlich anders, schon ganz persönlich und von Priesteramts wegen erst recht. Das wäre auch gut so. Denn 500 Jahre Reformation bedeutet auch: 500 Jahre Reformationen auch in der römisch-katholischen Kirche. Und hoffentlich 500 Jahre gemeinsame Reformationen der Kirchen in dieser Welt. Ich empfinde es, gerade weil die evangelischen Kirchen so provinziell aufgestellt sind, als heilsamen Impuls, dass es ein Papstamt in Rom oder in der koptischen Kirche oder in den Ostkirchen gibt. Denn wir müssen uns schon fragen lassen, wie wir bei aller protestantischen Farbenfrohheit der Weltöffentlichkeit deutlich machen: Wir bezeugen mit allen Christen den einen Gott für alle Geschöpfe, der Gott, der sich in einem Christus Jesus allen mitteilt.

So lädt dies Leporello, die Erinnerung an die 12 Apostel und das Glaubensbekenntnis ein, Glauben und Christsein je besonders zu entfalten, und zugleich zu gemeinsamer Sprache zu finden, weil uns von den frühen Christen gemeinsame Worte geschenkt wurden.
Reformation – ein Glaubensweg, wo man sich trifft.
Es ist fast mathematisch:
Parallelen sind Geraden, die sich im Unendlichen treffen.
Christengemeinschaften sind Glaubenswege, die sich im Ewig Lebendigen, also in Jesus Christus treffen.
So wie heute. Hier. Lasst uns nun dieses Glaubensbekenntnis miteinander sprechen. Amen.

(Gepredigt von Pfr. Michael Neugber am 31.10.2017 im ökumenischen Gottesdienst in St. Bardo Petterweil)

(Der Text bezieht sich auf das Apostel-Leporello „Ich glaube“ von https://shop.gottesdienstinstitut.org/catalogsearch/result/?q=Leporello)