Auf dem Weg zu Palmsonntag 2020 – Gedankensplitter zu den biblischen Texten V

Jedem Sonntag sind ein Psalm, ein Abschnitt aus den Evangelien als Evangelium zum Sonntag, ein Abschnitt aus dem Ersten Testament (früher „Altes Testament“), ein Abschnitt aus einem der neutestamentlichen Briefe und noch drei weitere Bibeltexte zugeordnet.

Es ist kein besonderer Anlass. Einfach so betrete ich ein Blumengeschäft.
Mir ist danach, meiner Frau einen schönen Strauß zu schenken.
Gewiss, gewiss, eigentlich müsste man sparen, weil die Waschmaschine in ihre Tage gekommen ist, die nächste Versicherung fällig wird und das Auto beim Fahren so komische Geräusche macht.
Ja, und eigentlich geht es vielen Menschen so schlecht. Da wäre das Geld als Spende auch gut angelegt.
Trotzdem.
Bei der Auswahl der Blumen schaue ich nicht mehr auf den Preis. Ich achte auf die Art, die Farben, den Duft.
Später wird meine Frau sagen „Du spinnst!“ – aber gefreut hat sie sich trotzdem.

Am Palmsonntag wäre Jubiläumskonfirmation gewesen. Nun ist „nur“ offene Kirche. Und mir begegnet nun einer der Predigttexte für diesen Sonntag, der wäre sogar turnusgemäß dran gewesen. Es ist einer meiner liebsten biblischen Geschichten, ich darf ihn hiermit vorstellen:

(aus dem Markusevangelium, Kapitel 14)
1 Es waren noch zwei Tage bis zum Passafest und den Tagen der Ungesäuerten Brote. …
3 Und als Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt. 4 Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? 5 Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an.
6 Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. 7 Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. 8 Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis. 9 Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.

Diese Geschichte kann man sich gar nicht konkret genug vorstellen.
Jesus nimmt seine Gefolgschaft mit in das Haus eines Menschen, der (noch?) aussätzig ist – oder war? Jedenfalls nicht die erste Adresse.
Vor Jesus liegt die Grausamkeit des Karfreitags. Sein Leib wird zu Tode geschunden.
Plötzlich ist dieser von Männern und ihren klugen Reden dominierte Raum erfüllt mit reiner Zärtlichkeit im Überschwang. Eine Frau tut Jesus einfach nur gut.
Ein Duft von absichtsloser Hingabe erfüllt das Haus.

Das muss so sein. Sagt Jesus. Alles andere, die wirtschaftlichen und sozialen Geldfragen haben ihre Zeit. Und ihre absolute Berechtigung. Aber nicht jetzt.
Jetzt will Jesus es genießen.

Die Evangelisten haben das auch nicht ausgehalten. Sie legten Jesus Worte in den Mund, die das Handeln der Frau rechtfertigen sollen.
Hier: Jesus wurde Christus genannt. Durch seinen Tod am Kreuz hindurch hat Gott sich zu ihm als Erlöser bekannt. Und bei Jesu Begräbnis wurde er aus Gründen der Eile nicht vorschriftsmäßig gesalbt.
Christus heißt: Der Gesalbte Gottes. Aber bis jetzt war Jesus nicht gesalbt. Das alles ist nun hiermit nachgeholt bzw. vorgeholt.

Ich glaube jedoch: Jesus rechtfertigte die Frau einfach dadurch, dass er sich freute, dass er diese Zärtlichkeit und diesen Duft schlicht wohltuend genoss. Punkt. Denn ein Zeichen solcher Liebe braucht keine weitere Begründung.

Jesus, die Mitmenschlichkeit Gottes in Person, ist immer für andere da.
Nur selten wird erzählt, dass er sich zurückzieht zur betenden Zweisamkeit mit Gott. Auch da bleibt er nicht immer ungestört.
Nur selten wird erzählt, dass er ganz der Empfangende ist.
Nach seiner Geburt etwa: Der, der durch Mutterbrust gestillt wird und geborgen liegt in der Eltern Arme.
Bei seiner Taufe empfängt er Gottes Heiligen Geist. Der ist nun in ihm ganz zuhause.
Danach gleich ringt Jesus in der Wüste Einsamkeit mit Gott und der Welt, mit teuflischen Versuchungen und wie er seinen Weg zu gehen hat. Am Ende, heißt es, kamen Engel und dienten ihm. So auch bei der letzten Versuchung: Im Garten Gethsemane, beim letzten Gebet und Ringen: Flucht oder Annahme seines letzten Ganges? Blut und Wasser habe er dabei geschwitzt in dieser Einsamkeit (die Jünger schliefen ja).
Du wieder kam dann ein trostreicher, stärkender Engel, heißt es.
Ach ja – da bei jener nächtlicher Schifffahrt auf stürmischem See Genezareth – da empfing Jesus wohlverdienten Schlaf. Bis er geweckt wurde.
Und in dieser Geschichte: Da will er sich nicht mehr stören lassen. Da gilt das, was die Frau (und es ist so was von egal, was diese Frau sonst tat – jetzt ist sie da mit ihrer Geste) ihm wohltut.
Jesus braucht Zärtlichkeit.
Ganz Mensch.
Ganz Gott.

Das ist das Überraschende.
Wenn Jesus wirklich, wie es das Glaubensbekenntnis später formuliert,
auch ganz Gott ist – dann empfängt Gott selbst diese zärtliche Geste. Dann erscheint Gott hier als jemand, der sich darüber freut und es genießt.
Der nicht gibt, nicht immer da ist für uns, sondern der empfängt. Kein Opfer, kein Lobpreis , keine Klagen – einfach nur solche Geste.

Das Gebot „Liebe Gott über alles, mit ganzem Herzen…“ steht dadurch in neuem Licht.

Jeden Sonntag wird ein frischer Blumenstrauß auf den Altar gestellt.
Unter das Kreuz, vor das Kreuz, für Gott.
Einfach so.
Ein Zeichen menschlicher Hingabe an den Gott, der sich darüber freut.
Einfach so.
Es müssten duftende Blumen sein – zum Gedenken an diese Begebenheit: „Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.“

Wenn Sie mal wieder ihre Kirche besuchen (etwa zur Zeit der „Offenen Kirche“) oder eine andere:
Wagen Sie es.
Bringen sie eine Blume mit und legen sie diese auf den Altar.
Ja, es wird erstaunte Blicke geben, vielleicht auch den Einspruch eines Küsters (nicht unserer, der weiß es zu schätzen).
Und doch: Legen sie eine Blume hin und spüren dann nach, wie sich das anfühlt.
Gott freut sich.
Und sie vielleicht auch.

Und dann?

Dann mag die Zeit kommen, wo wieder gilt:

„Ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun.“