Gründonnerstag ohne Abendmahl, dafür mit Jesus in der Einsamkeit des nächtlichen Ringens mit Gott.

Kein Abendmahl! Und das am Gründonnerstag.
Der Tag, der ganz besonders der Erinnerung gilt: Jesus hat das Abendmahl als Zeichen seiner Gegenwart im Leben und im Sterben gestiftet.

So bleibt diesmal nur, die Geschichte selbst zu lesen.
Etwa so, wie der Apostel Paulus im 1. Brief an die Korinther daran erinnert, ich zitiere aus Kapitel 11 die Verse 23 bis 26:
Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und sprach: Das ist mein Leib für euch; das tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr von diesem Brot esst und von dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.

Bekannte Worte.
Immer, wenn Abendmahl gefeiert wird, feiern wir Gründonnerstag, Karfreitag – und Ostern. Und die Zukunft Gottes mit aller Welt.

An manchen Orten wird (dieses Jahr nicht) das sogenannte Sedermahl gefeiert.
Mit mir nicht.
Das Passahmahl, das an die Befreiung Israels aus der Sklaverei in Ägypten erinnert, gehört den jüdischen Schwestern und Brüdern. Es ist ihre Geschichte mit Gott.
Doch dieses Fest erhellt, was für uns beim Abendmahl geschieht.
Es wird vor Gott, dem Ewigen gefeiert.
In Gottes Gegenwart wird alles gegenwärtig, was Gott rettend, vergebend, erlösend wirkte, wirkt und wirken wird.
Es ist jetzt da, auch wenn es eigentlich einmal war oder hoffentlich einmal soweit sein wird.

So auch das Abendmahl. Der alte Streit, ob Brot und Kelch wirklich Jesu Leib und Blut sind oder nur an Jesu Brot und Leben teilen mit den Seinen und seine Lebenshingabe für alle Welt erinnert, ist dann unerheblich.
Nicht wir vergegenwärtigen uns diese heilsame Lebensgeschichte,
Gott vergegenwärtigt uns, was hier geschah.
Darum geschieht es, wenn wir Abendmahl feiern. Und was wir da feiern.
Und weil Gott leibfreundlich ist und uns ganz und gar liebt, passiert hier nicht nur „seelische Erbauung“, sondern leibhaftiges Essen und Trinken.
Wie ja auch im Judentum bei der Passahfeier.
Oder, analog, wie bei der Aufführung eines Musikstückes: Der Komponist mag schon lange tot sein, die Uraufführung längst vorbei. Doch wenn eine Person oder eine Gruppe das Musikstück zum Wiedererklingen bringt, spielt es keine Rolle mehr, wie alt das Stück ist. Es ist jetzt Wirklichkeit. Und im Stück lebt der Komponist mit seiner Kreativität – und zwar zusammen mit den Musikern und den Hörer*innen.
Für den Fall einer gelungenen Aufführung. Im anderen Fall erlebt man unheilvolle Grausamkeit.
Darauf wies übrigens Paulus ebenfalls hin, weswegen er ja seine Abendmahlsworte überlieferte und damit an das Handeln Jesu erinnerte:
Wenn in einer Gemeinde und erst recht beim Abendmahl Menschen durch die anderen Gemeindemitglieder das Gefühl bekommen, irgendwie ausgegrenzt zu sein wegen ihrer sozialen Herkunft, ihres Geschlechtes, ihres anderweitigen Herkommens u.s.w., dann wird Jesus selbst verunglimpft, verraten, mit Füßen getreten. Und aus dem Heiligen Abendmahl als Wohltat Gottes wird unseliges Saufen und Fressen – tödliches Gift für die, die bedacht oder unbedacht ausgrenzen. D.h., ob ein Abendmahl richtig gefeiert wird, ist keine (wenigstens nicht nur eine) liturgische Frage. Die ganze Gemeinde ist gefordert, ob sie sich einlässt auf Gottes Wille zu Solidarität, Inklusion, Integration aller in Gottes Reich.

Übrigens: Es ist nicht ganz ausgemacht, ob Jesus wirklich mit den seinen beim Passahmahl saß und dann plötzlich den Ritus radikal änderte. Oder ob er nicht einfach zum letzten Mal ein Mahl feierte, wie er auch sonst mit Menschen zusammen aß und trank, also Tischgemeinschaft hatte. Und so ein Zeichen für die Menschenfreundlichkeit Gottes setze.
Die Evangelien legen das Passahmahl nahe, Paulus jedoch nicht. Und insgesamt passt es nicht so ganz in die innere Logik dieses Festes…

Ich denke also diesmal „Abendmahlabstinent“ den Worten nach. „Anamnese“ werden sie genannt. Das gleiche Wort, wie wenn ein guter Arzt zum ersten Mal einen Patienten untersucht: Mit der Anamnese beginnt der Heilungsprozess (über weitere Untersuchung, Diagnose und Therapievorschlag)

Und wieder ärgert mich die Bibelübersetzung, aber auch die traditionelle Wortwahl der sogenannten Einsetzungsworte, so, wie sie Paulus zitiert.
„verraten“ – das steht nicht im Original. Da steht „ausgeliefert“.
Ich erinnere: Wir tragen spätestens nach dem Holocaust eine christliche Verantwortung für den Respekt vor unseren jüdischen Schwestern und Brüder. „Verraten“ lässt an Judas denken – und Judas klingt wie „Jude“.
Dieses „verraten“ hat über Jahrhunderte dazu geführt, Juden pauschal den Mord an Jesus vorzuwerfen, als hätten sie ihn begangen.
Was völliger Quatsch ist, lebensgefährliche fake News, mitnichten „gute Nachricht“, also „Evangelium“.
„Ausgeliefert“ trifft es besser: Denn alle Jünger haben Jesus dann im Stich gelassen.
Und mit eben diesen hat er das Brot geteilt und den einen Kelch, besser „Becher“.
Das ist das Evangelium und gerade das Abendmahl verbietet jede Verfolgung Andersgläubiger.

Brot teilen – Jesus sagt: Das ist mein Leib. Gemeint ist sein Leben. Leib und Leben, wie er es einsetzte lebenslang. In Wort und Tat, Gebet und Heilung. Das nehmen wir auf – um ihm dann nachfolgen zu können, mit guten, heilsamen Worten für andere, mit entsprechenden Taten, mit unseren Gebeten, mit allem, was Heilsames erforscht und angewendet werden kann.

Und dann – eben nicht „Blut trinken“.
Sondern aus einem Becher.
Der erinnert an Psalm 23: du schenkst mir voll ein, Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang.
Ein Becher für alle –
Es gab die Sitte, dass bei jüdischen Mählern alle einen Becher hatten. Doch ein gefüllter Becher stand zusätzlich auf dem Tisch. Der war für den Profeten Elia. Elia war ja seinerzeit entrückt worden. Doch er sollte wieder kommen. Und wenn er wiederkommt, kommt auch endlich der Messias, und alles wird gut auf Erden.
Es ist wie in manchen frommen süddeutschen Haushalten, wenn ein Stuhl am Tisch freibleibt – für Jesus.
Diesen Becher nimmt Jesus – und reicht ihn weiter.
Der Becher erinnert auch an den Becher des Leides.
Alle trinken daraus – sie teilen Jesu (= Gottes) Barmherzigkeit und sie teilen sein Leid mit der Welt. In der Welt.
Im Becher ist – Wein. Wein wiederum steht für Lebensfreude, für einen Frieden, wie er in des Propheten Jesaja Buch verheißen wird: Jeder wird in Frieden die Frucht seines Weinstocks genießen können. Somit steht der Inhalt für eine Zukunft, die für alle lebenswert ist.
Und darum feiernswert.
Es wäre der „neue Bund“, heißt es.

Jahrhunderte lang wurde „geglaubt“, ich meine: „geirrglaubt“ mit schlimmsten Folgen, dieser Neue Bund hätte die anderen, älteren Bünde erledigt. Kirche statt Israel.
Wer lesen kann, ist auch da klar im Vorteil, und lesen meint: In der Bibel hingucken, was da wirklich steht – und was nicht.
Tatsächlich kann man die Bibel als eine Geschichte der „Verbündungen“ Gottes lesen.
Bei „Bund“ schwingt das gleiche wie bei „Ehebund“ mit: es hat mit liebender Zuwendung zu tun. Gott verliebt sich du geht einen Bund ein. Und hofft auf Gegenliebe. Und jeder, der in einer Ehe lebt, weiß: Man sollte gewisse Regeln des Zusammenlebens beachten.
Der erste Bund: Der steht gleich am Anfang der Bibel: Gott verbündet sich mit der Naturgeschichte dieser Welt.
Nach der Sintflutgeschichte wird dieser Bund erneuert und in seiner Gültigkeit bestätigt. Der Bund Gottes mit Abraham konzentriert diese globale Liebe auf diese Person – was das andere (und all die anderen Personen) eben nicht abwertet. Als ich mit meiner Frau einen Bund fürs Leben schloss, ging das nicht gegen die restlichen 4,5 Milliarden Frauen.
Und so weiter – der Bund Gottes mit seinem Volk am Berg Sinai wurde vor dem Einzug ins verheißene Land erneuert, dann später wieder und immer wieder. Bis es beim Profeten Jeremia heißt: Es wird einmal einen Bund Gottes geben, der nie mehr erneuert werden muss. Weil er allen Menschen in Fleisch und Blut übergegangen ist und alle Herzen davon erfüllt sind.
Und nun nimmt Jesus uns in diese Bundesgeschichte mit hinein. Das ist das neue. Nicht gegen das „alte“. Sondern eine Neuausrichtung, die den „alten“ Bund Gottes mit seinem Volk bestätigt.
Der Bund im Blut.
Blut steht für Leben. Leben gehört Gott. Weswegen Juden jeglicher Blutgenuss verboten ist. Es wäre ein sich Vergreifen an dem, was Gott heilig ist.
Blut steht für Jesu Leben. Für seine Hingabe bis zum Tod am Kreuz.
Kreuz: aus unheiligem Tötungsinstrument der Römer wird ein Zeichen des Heiles. Das kann nur Gott selbst wirken. Darum „Heilig“.
Gott hat da seinen Bund neu geschlossen. Aus dem Bild eines schrecklichen Endes das Zeichen seiner immer neuen Liebe geschaffen.
„Blut“: Es ist Rot. Leben, Liebe, neues Leben.
Wir trinken kein Blut.
Wir werden in dieses Handeln Gottes mit hinein genommen. Und es kommt in uns hinein. Damit es unsere Herzenssache werde.
Da war (und in der Feier: „ist jetzt“) Jesu Tod. Einmaliges Geschehen, wie Jesus selbst einmalig ist. Gott hat seinen Bund geschlossen, seinen Lebensvertrag für alle Welt aufgesetzt und besiegelt.
Wenn wir Abendmahl feiern, Brot teilen, aus einem Becher trinken, dann ratifizieren wir den Vertrag.
Es ist wie mit den Menschenrechten.
Die wurden einst von der UNO „beschlossen“. Sie gelten. Aber die einzelnen Länder müssen sie ratifizieren und für sich annehmen. Das haben die meisten ja auch getan.

Nicht bei Paulus, aber in den Evangelien und daher in den immer zitierten Einsetzungsworten steht: Für alle Welt zur Vergebung der Sünden.
Wenn Sünde das ist, was Gemeinschaft zerstört (unter Menschen, zwischen Mensch und Gott), dann heißt „Vergebung“: Gott schafft Lebensgemeinschaft neu. Es ist sozusagen ein göttlicher Schöpfungsakt.
Wenn wir den Becher teilen, lassen wir Gott dies an uns, in uns und unter uns wirken. An uns liegt es, es auch wirksam werden zu lassen. Deswegen wird beim Abendmahl oft auch der Friedensgruß ausgetauscht.
Den „Friede“ meint eben dies: Was war, ist vergeben. Was gilt, stiftenden die Liebenden. Und mittendrin Gott.

Insofern verkünden wir also Jesu Tod – als Gottes Lebenszeichen. Im Lichte von Ostern. In Erwartung, dass Gott selbst einmal die Welt „runderneuert“ und wir es erleben, auch wenn wir sterben.

Doch diese Welt ist noch nicht soweit. Und so nimmt uns dieser abendmahlabstinente Gründonnerstag mit in das Geschehen, was nun folgte, ich zitiere aus dem Lukasevangelium, Kapitel 22:

Und Jesus ging (nach dem Abendmahl) nach seiner Gewohnheit hinaus an den Ölberg. Es folgten ihm aber auch die Jünger.
Und als er dahin kam, sprach er zu ihnen: Betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt!
Und er riss sich von ihnen los, etwa einen Steinwurf weit, und kniete nieder, betete und sprach: Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!
Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn.

Jesus hat noch einmal um sein Leben mit Gott gerungen. Muss es wirklich soweit kommen? Oder geht es nicht auch anders?
Blut und Wasser habe er geschwitzt beim Beten, heißt es an anderer Stelle.
Und ich denke an Situationen, wo ich mit Gott zu ringen habe.
Ich bin nicht allein, auch wenn ich allein bin.
Jedes solche Ringen verschmilzt mit Jesu Gebet in nächtlicher Einsamkeit.
Auch da, wo ich hilflos am Bett eines todkranken stehe und nur noch beten kann.
Oder mir sonstige Bilder einer völlig unerlösten Welt vor Augen stehen.
Was ich mir dann wünsche?
Das, was ich Ihnen allen wünsche:
Einen Engel, der dann die Kraft gibt, „gegen Gott an Gott festzuhalten“, wie es jemand mal sagte.
Und so etwas getroster in die Nacht zu gehen,
so, wie es einst Jesus tat. Als er ausgeliefert wurde.