Auf dem Weg zu Palmsonntag 2020 – Gedankensplitter zu den biblischen Texten II

Jedem Sonntag sind ein Psalm, ein Abschnitt aus den Evangelien als Evangelium zum Sonntag, ein Abschnitt aus dem Ersten Testament (früher „Altes Testament“), ein Abschnitt aus einem der neutestamentlichen Briefe und noch drei weitere Bibeltexte zugeordnet.

„Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen
noch tritt auf den Weg der Sünder
noch sitzt, wo die Spötter sitzen
sondern hat Lust am Gesetz des HERRN
und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht!“

So beginnt der erste aller Psalmen. Er ist relativ kurz. Lang und breit besingt Ps. 119 die Freude daran, den Weisungen Gottes nachzudenken und sie zu beherzigen. Die biblischen Bücher der Weisheit, gut zu leben, entfalten dies weiter. Ihr Bild von Gott: Gott ist nun nichtmehr der mythische Himmelsherrscher, der mehr oder weniger willkürlich in das Geschick der Menschen eingreift, und sei es noch so lieb gemeint. Gott ist derjenige, der sich mit seinem Geist eingebracht hat in diese Welt. Der seine Weisheit kundtut, entweder durch Gebote, durch Erfahrungen von Menschen, was gut ist und was nicht oder – in dem Menschen mit hellem Verstand zu erforschen suchen, was wirklich wahr ist, wahrhaftig, wahres Leben. Und da hat keiner die Wahrheit gepachtet (weil er dann Gott ganz für sich vereinnahmen würde), sondern alle sind auf der Suche, mit ganzem Verstand, ganzer Seele, mit Lieb und Leben.
Es geht um fundiertes Wissen, wie alles zusammen hängt – und alles ist aufeinander zu geordnet – und wie aus diesem Wissen die Weisheit wird, so zu leben, dass es auch dem Mitmensch gut tut.
Auf Dauer.

Im Buch Jesaja findet man die sogenannten Lieder vom Knecht Gottes. Dieser Knecht Gottes mag ein einzelner gewesen sein oder eine Gruppe, gar eine ganze Religionsgemeinschaft, im Falle Jesajas Israel.
Wir denken auch an den Knecht Gottes Jesus.
Auf jeden Fall hat so ein Knecht Gottes sich darauf spezialisiert, über Gottes Weisheit, Güte, Wille mit ganzem Herzen voller Vernunft nach zu denken. Und erlebt, wie er Dinge laut sagen muss, anfragen hat an seine Umgebung – und damit auf heftigen Widerstand stößt.
In Jesaja 50 finden sich diese Worte von ihm:
Jes 50,4-9
4 Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. 5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. 6 Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.
7 Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde. 8 Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir! 9 Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen? Siehe, sie alle werden wie ein Kleid zerfallen, Motten werden sie fressen.

Es gab sie auch schon in Vorelektronischen Zeiten: Haß-, Droh- und Mordbotschaften.
Aus anderen Stellen im Jesajabuch, aber auch von anderen Propheten wie Amos oder Jeremia erahnt man, was der Knecht laut gesagt haben muss und weswegen er so aneckte. Er hielt seiner Gesellschaft einen Spiegel vor, ich gebe es mal konzentriert mit meinen Worten wider, ein wenig globalisiert: Mit eurer Lebensweise, die immer auf Kosten der vom Leben Benachteiligten geht und sogar auf Kosten der Schöpfung, seid ihr Gott los. Gerade da, wo ihr meint, Gott zu ehren, tretet ihr seine Weisheit des Lebens mit Füßen. Ihr könnt euch eure Gottesbilder gerade mal sonst wo hin stecken, Gott wird einen Teufel tun – und euch gottlos lassen. Denn ihr seid mit eurem Verhalten keine Menschen mehr, sondern bestenfalls Tiere, die dem Gesetzt von Werden und Vergehen unterliegen. Ihr habt eure Zukunftsberechtigung verspielt – fertig machen zum Untergang! Es walte das gnadenlose Gesetz der Natur und ihrer Geschichte. Das Anthropozän ist hiermit beendet.
Doch es könnte weitergehen: Wenn ihr endlich lernt, solidarisch zu leben, wenn ihr begreift, dass das schwächste Glied in einer Gesellschaft dasjenige ist, um das sich alle sorgen müssen, dem sich alle annehmen müssen, wenn ihr begreift, dass nur mit wirklich menschlichem Verhalten der Mensch als Wesen seine Daseinsberechtigung hat.
Und weswegen es zur Weisheit Gottes in dieser Welt gehört, dass jeder Mensch eine unverlierbare, unbedingt schützenswerte und achtenswerte würde hat. Unabhängig von seinen Taten oder Untaten, seinem Verhalten oder Missverhalten, seinem Wohlergehen oder seinem Schicksal. Dass Gottes Weisheit ein Wissen um das ist, was Fremde, vom Leben Geschädigte (damals Waisen und Witwen und Privatinsolvente), aber auch das ausgenutzte Vieh und ausgelaugte Böden brauchen. Weswegen Gott deren Anwalt ist, der eure Solidarität einklagt – und darum euer Wirtschaften, euren Lebenstil, euer „Weiter so“ massiv hinterfragt.

Der Knecht Gottes sucht Wahrheit, ein Produkt aus nüchternem Wissen um die Dinge und herzlicher Weisheit und sucht damit die Auseinandersetzung. Er ringt um die Zukunft seiner Mitwelt. Er rüstet sich: Dieses ringen wird ein harter Kampf.

Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Wenn denn hie und da Knechte solcher Weisheit (und damit Gottes) auftreten.
Sie werden schnell abserviert. Erinnert sich noch wer an Heiner Geisler (der immerhin altersweise wurde)? Von der Leyen (man mag ihr Handeln als Ministerin kritisch betrachten) hat es auf den Punkt gebracht: Die schönste neu entdeckte Solidarität in den einzelnen Ländern nutzt nichts – wenn die Solidarität in Europa schon vor die Hunde gegangen ist.
Und so sieht es aus.
Es bleibt eine offene Frage, und jeden Diskurs wert:
Sind wir in der Lage, dass, was Menschen hierzulande kreativ solidarisch einbringen, umzusetzen auf unser Miteinander, nur mal in Europa? Griechenland etc. nicht mehr alleine zu lassen in Fragen der Menschenrechte und menschenwürdigen Behandlung von Geflüchteten? Sind wir in der Lage, aus dem großgönnerhaften Rettungsschirm wirkliche Solidarität (und die kostet immer, besonders die Vermögenden, und da gibt es keinen Gegenwert – außer eben den der Solidarität) zu zeigen und d.h. auch rechtlich verbindlich fest zu schreiben?
Was übrigens inzwischen auch von Wirtschaftsweisen gefordert wird. Entweder gemeinsam alles oder in Zukunft krisenuntauglich und damit weg vom Fenster.
Wir können zur Zeit beobachten, wie der Himmel blau ist, die Luft rein, und überhaupt (von Toilettenpapier abgesehen) unsere Welt entlastet wird von des Menschen Konsum. Lernen wir, lernen wir? Reisen bildet, z.B., aber bildet leider auch schädliche Kondensstreifen. Lernen wir eine neue, besonnene Zurückhaltung? Entwickeln wir eine neue Idee für die wirtschaftliche Grundlage von unserem Leben in allen Bereichen?
Und so weiter…

Was das mit Gott zu tun hat?
Er liebt uns doch! Und er will mit uns Zukunft besser gestalten.
Damit wir wirklich lernen, wozu uns das Gesetz der Natur gerade zwingt.
Damit wir endlich lernen, wozu er selbst Mensch geworden ist.

Zu diesem Lernen gehört die ehrliche Auseinandersetzung. Der Knecht Gottes im Jesajabuch, Kapitel 50, klappt dafür das Visier runter. Ich würde mir wünschen, dieser Dialog begänne schon jetzt mit offenem Visier. Ein anderes Lied vom Knecht Gottes zeigt allerdings: Dafür muss man manchmal seine Haut zu Markte tragen.

Vielleicht liebe ich deswegen eine Nachdichtung dieser Bibelstelle aus der Feder Jochen Kleppers:

Er weckt mich alle Morgen,
er weckt mir selbst das Ohr.
Gott hält sich nicht verborgen,
führt mir den Tag empor,
dass ich mit seinem Worte
begrüß das neue Licht.
Schon an der Dämmrung Pforte
ist er mir nah und spricht.

Er spricht wie an dem Tage,
da er die Welt erschuf.
Da schweigen Angst und Klage;
nichts gilt mehr als sein Ruf.
Das Wort der ewgen Treue,
die Gott uns Menschen schwört,
erfahre ich aufs Neue
so, wie ein Jünger hört.

Er will, dass ich mich füge.
Ich gehe nicht zurück.
Hab nur in ihm Genüge,
in seinem Wort mein Glück.
Ich werde nicht zuschanden,
wenn ich nur ihn vernehm.
Gott löst mich aus den Banden.
Gott macht mich ihm genehm.

Er ist mir täglich nahe
und spricht mich selbst gerecht.
Was ich von ihm empfahe,
gibt sonst kein Herr dem Knecht.
Wie wohl hat’s hier der Sklave,
der Herr hält sich bereit,
dass er ihn aus dem Schlafe
zu seinem Dienst geleit.

Er will mich früh umhüllen
mit seinem Wort und Licht,
verheißen und erfüllen,
damit mir nichts gebricht;
will vollen Lohn mir zahlen,
fragt nicht, ob ich versag.
Sein Wort will helle strahlen,
wie dunkel auch der Tag.