Sieben und mehr erste Osterworte Jesu – Siebte Station: „Fass mich ruhig an! Selig sind…“

Sieben und mehr erste Osterworte Jesu
Ein Auferstehungsweg in der 2. Woche nach Ostern
bzw. in der orthodoxen Osterwoche 2020

Siebte Station: „Fass mich ruhig an! Selig sind…“

„Der Auferstandene begegnet Thomas“
Ikone aus Novgorod, Anfang 16.Jhd.,
jetzt im Ikonenmuseum in Recklinghausen

Ein Glaubenspsalm aus Philipper 2:
Seid so unter euch gesinnt,
wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:
Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,
sondern entäußerte sich selbst
und nahm Knechtsgestalt an,
ward den Menschen gleich
und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
Er erniedrigte sich selbst
und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.
Darum hat ihn auch Gott erhöht
und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,
dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie,
die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
und alle Zungen bekennen sollen,
dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Die biblische Geschichte aus Johannes 20:
Thomas, auch Didymus genannt, einer der Zwölf, war nicht dabei gewesen, als Jesus zu den Jüngern gekommen war. Die anderen erzählten ihm: »Wir haben den Herrn gesehen!« Thomas erwiderte: »Erst muss ich seine von den Nägeln durchbohrten Hände sehen; ich muss meinen Finger auf die durchbohrten Stellen und meine Hand in seine durchbohrte Seite legen. Vorher glaube ich es nicht.«
Acht Tage später waren die Jünger wieder beisammen; diesmal war auch Thomas dabei. Mit einem Mal kam Jesus, obwohl die Türen verschlossen waren, zu ihnen herein. Er trat in ihre Mitte und grüßte sie mit den Worten: »Friede sei mit euch!« Dann wandte er sich Thomas zu. »Leg deinen Finger auf diese Stelle hier und sieh dir meine Hände an!«, forderte er ihn auf. »Reich deine Hand her und leg sie in meine Seite! Und sei nicht mehr ungläubig, sondern glaube!«
Thomas sagte zu ihm: »Mein Herr und mein Gott!« Jesus erwiderte:
»Jetzt, wo du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind die, die nicht sehen und trotzdem glauben.«

Zur Besinnung:
„Vom Glück des Thomas und vom Glück derer, die der Ostergeschichte trauen, vom Glück der Hinterfragenden und vom Glück derer, die sich einfach beglücken lassen“
Reizvoll wäre es, meine Geschichte vom Ostermontag hier nochmal zu erzählen. Wer mag, lese nach im Blog.
Hier nur dies ganz persönlich:

Thomas, habe ich dir schon gesagt, dass du einer meiner Lieblingsjünger bist?
Denn du glaubst nicht einfach, was andere so selbstgewiss erzählen.
Ich gebe zu, dass, wie jemand sagte, auch mir die, die zweifeln, keinesfalls Angst machen, aber die, die so völlig ohne Zweifel sind.
Du hat Angst, es könne alles nur ein fake sein und diese Welt bleibt nun doch sich selbst und ihren Überlebenskämpfen überlassen.
Ohne Gnade.
Darum willst du deine fünf und mehr Sinne gebrauchen, und deinen Verstand.
Du willst dich vergewissern,
das Unbegreifliche begreifen,
den Sieg des Lebens mit allen Sinnen empfinden.

Thomas, ich kann dich gut verstehen;
auch mir fällt es schwer,
zu glauben ohne entsprechende eigene Erfahrung.
Ich muss daher die Aussagen anderer, sogar die, welche einst zuerst von Ostern und Auferstehung kündeten, nachprüfen, nachfragen, zu ergründen suchen.
zu schauen,
Auch ich kann kaum erfassen,
dass der Gestorbene nicht im Tode geblieben ist.
Auch mich bewegen Fragen und Zweifel.
Eine Qual? Ja, manchmal, eher ein Bedürfnis.

Thomas, wie gern würde ich wie du verstehen.
Du darfst mit eigenen Augen das Unglaubliche sehen.
Du hast die Erlaubnis, deine Finger in die Wunden Jesu zu legen,
mit eigener Hand die Spuren des Todes – und des Lebens in einem zu ertasten.
Du hast die Erlaubnis – und spürst damit schon den Sieg des Lebens.
Du brauchst nicht in wunden zu wühlen – die Anschauung reicht.
Und da bewegt sich in dir ein völlig neues Lebensbild von Jesus.
Du lässt die dir altvertraute Person los und begegnest ihm neu.

Du kannst sagen:
Mein Herr und mein Gott.

Wenn du das sagst,
sag ich es auch:
Mein Herr Jesus, mein Gott…
Und auf einmal höre ich Jesu Wort als Wort auf mein Leben:
„Selig bist du…“
Wenigstens jetzt, wenn ich mir eure Begegnung vor Augen halte.

Ja, und dann ahne ich, warum du aufgebrochen bist, um Jesus immer wieder so zu begegnen.
Du bist, wie man erzählt, sogar bis nach Indien gekommen und hast den Gott, der so an Jesus handelte und darum an aller Welt, bezeugt.
Du hast Menschen selig gemacht – denn sie glaubten. Diese ersten, echten, wahren Thomaschristen in Indien.

Wenn Jesus also selig preist die, die glauben auch auf dein Wort hin,
dann ist das ein Auftrag.
Davon erzählen alle Evangelien:
Jesu immer neues Wort nach seiner Auferstehung:

„Wie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich euch – geht in die Welt, ich bin bei euch.“

Kleine Übung:
Stellen sie sich vor: Sie sind Thomas. Jesus steht vor Ihnen und schaut sie an. Weder von oben herab noch voller Vorwurf, auch nicht dem leisesten und verstecktesten.
Sondern so, wie John Henry Newman es formulierte:
Er schaut dich, wer immer du seist,
so wie du bist, persönlich.
Er ruft dich beim Namen.
Er sieht dich und versteht dich, wie er dich schuf.
Er weiß, was in dir ist, all dein Fühlen und Denken,
deine Anlagen und deine Wünsche,
deine Stärke und deine Schwäche.
Er sieht dich an deinem Tag der Freude
und an deinem Tag der Trauer.
Er fühlt mit deinen Hoffnungen und Prüfungen.
Er nimmt Anteil an deinen Ängsten und Erinnerungen,
an allem Aufstieg und Abfall deines Geistes.
Er umfängt dich rings und trägt dich in seinen Armen.
Er liest in deinen Zügen,
ob sie lächeln oder Tränen tragen,
ob sie blühen an Gesundheit oder welken in Krankheit.
Er schaut zärtlich auf deine Hände und Füße.
Er horcht auf deine Stimme,
das Klopfen deines Herzens,
selbst auf deinen Atem.
Du liebst dich nicht mehr,
als er dich liebt.

Und dann mögen sie beten, etwa dies
Gebet einer Basisgemeinde aus Brasilien:
Gott, mach uns unruhig,
wenn wir selbstzufrieden sind.
Wenn wir uns am sicheren Hafen
und bereits am Ziel glauben,
wenn wir allzu dicht am Ufer entlangsegeln,
wenn wir uns damit abfinden,
dass unsere kleinen Träume sich erfüllen.
Gott, mach uns unruhig,
wenn wir über der Fülle der Dinge,
die wir haben und wollen,
den Durst nach dem Wasser des Lebens verloren haben,
wenn wir, verliebt in unsere eigenen Pläne,
aufgehört haben, auf deinen Willen zu horchen,
wenn wir über allen Anstrengungen,
die wir für unsere Zukunft investieren,
deine Vision vom neuen Himmel
und der neuen Erde übersehen.
Gott, rüttle uns auf, damit wir kühner werden und uns
hinauswagen auf das weite Meer,
wo uns die Stürme entgegenwehen
und wir ganz auf deinen Schutz vertrauen können,
wo wir mit schwindender Sicht auf das Ufer
die Sterne aufleuchten sehen.
Gott, lass uns neu beginnen in deinem Namen,
der du die Horizonte unserer Hoffnung
weit hinausgeschoben
und die Beherzten aufgefordert hast, dir zu folgen.
Gott, lass die Liebe in uns zu einem Feuer werden,
das uns ergreift,
das alle Feigheit verbrennt
und dich aufleuchten lässt,
der du das Licht bist und die Liebe.

Ein Osterlied aus dem Gesangbuch:

Text: Lothar Zenetti 1973, Melodie: Jean Liesse 1971

Ein Segenszuspruch für eine ganze Osterzeit
In südöstlichen Gegenden wahrt man auf dem Lande noch einen Brauch für die ganze Osterzeit, die immerhin bis zu Pfingsten geht. Menschen – also auch einander Unbekannte – segnen sich bei jeder Begegnung so, in dem eine*r sagt: „Jesus ist auferstanden!“, und die/ der andere antwortete „Er ist wahrhaftig auferstanden!“ (In der Schweiz: Er ist effektiv auferstanden).
Also nun von meiner Seite:

Der Herr ist auferstanden!

Sieben und mehr erste Osterworte Jesu – Fünfte Station: „Friede sei mit euch – ich bin es wirklich!“

Fünfte Station: „Friede sei mit euch – ich bin es wirklich!“

Die Seligpreisungen – ein Lebenspsalm
Selig sind, die da geistlich arm sind;
denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind, die da Leid tragen;
denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen;
denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit;
denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen;
denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig sind, die reinen Herzens sind;
denn sie werden Gott schauen.
Selig sind, die Frieden stiften;
denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden;
denn ihrer ist das Himmelreich.
(Beginn der Bergpredigt Jesu nach Mt. 5)

Biblische Geschichte aus Lukas 24
Die beiden Jünger aus Emmaus waren ja umgehend zu den anderen nach Jerusalem zurückgekehrt und berichteten von ihrem Ostererlebnis mit Jesus.
Während sie noch am Erzählen waren, stand mit einem Mal Jesus selbst in ihrer Mitte und grüßte sie mit den Worten: »Friede sei mit euch!«
Doch sie waren starr vor Schreck, denn sie meinten, einen Geist zu sehen.
»Warum seid ihr so erschrocken?«, sagte Jesus. »Und wie kommt es, dass solche Zweifel in euren Herzen aufsteigen?
Schaut euch meine Hände und meine Füße an: Ich bin es wirklich! Berührt mich und überzeugt euch selbst! Ein Geist hat doch nicht Fleisch und Knochen, wie ihr sie an mir seht.«
Und er zeigte ihnen seine Hände und seine Füße.

Zur Besinnung:
Mit der Friedfertigkeit oder der Barmherzigkeit ist es wohl wie mit der Liebe.
Ich kann nur Lieben, wenn ich selbst mich zutiefst geliebt weiß.
Ich kann nur Frieden wirken, wenn ich in mir selbst befriedet bin.
Ich kann nur barmherzig sein, wenn ich mich von jemand mit all meinen Seiten und Eigenarten angenommen weiß.
Als Jesus Menschen selig pries, sagte er nicht: „Ihr müsst das von euch aus können!“, sondern er verkündete: Ihr könnt das, weil Gott euch nahe ist. Er beseligt euch mit Verhaltensweisen, die im umfassenden Sinn Friedstiftend sind.
Es ist wie mit der Liebe…
Jesus taucht unvermutet auf im Kreis der Jünger. Sein erstes Wort:
Friede mit euch.
Mehr als „nur“ ein (orientalischer) Gruß.
Jesus meint das ernst: Er bringt den Seinen umfassenden Frieden als Kraft, die sie in die Zukunft trägt und neue Gemeinschaft in bisher unbekannten Dimensionen zum Leben erweckt. Jesus bringt sich ein, auch als Auferstandener, weil Gott selbst sich einbringen will. Denn er liebt die Welt, sie soll Zukunft haben, auch wenn noch so manches eben diese Zukunft arg verdüstert.
Darum: Friede sei mit euch – ich bin‘s wirklich, der unter euch ist.
Eine Botschaft für unsere Tage.

Freilich nicht leicht, Es ist nicht leicht, in all dem, was man erlebt, die Gegenwart des Auferstandenen wahrzunehmen. Also die Botschaft von Ostern für wahr zu nehmen. Gott inmitten der Welt zu begegnen.
Ein Weg dahin ist vielleicht: Das, was wir Wirklichkeit nennen oder Realität, größer zu denken. Umgeben von etwas Weiterem. Österlichem sozusagen. Ich schildere ein Erlebnis von Jörg Zink, das er niederschrieb in seinem Buch: Gotteswahrnehmung:
„Ich war Soldat. Ich tat meinen Dienst in Frankreich, auf einem Flugplatz am Rand von Lyon. Neben unserer Unterkunft lag ein altes Fort, eine Befestigungsanlage aus dem 19. Jahrhundert mit Gräben und Wällen und breiten Bunkern, das »Fort Bron«. Wenn ich in meiner Freizeit dem Lärm der Baracke entkommen wollte, ging ich auf die Wälle des Forts hinüber, um in der Stille etwas zu lesen. Einmal, es muss im April 1943 gewesen sein, saß ich dort, umgeben von einem dichten Gestrüpp weißblühender Schlehen. Wohin das Auge sah, waren dicht an dicht weiße Blüten.
Plötzlich war ich »anderswo«. Ich war in einem Land aus Licht. Die Blüten schwammen zusammen zu einer durchdringenden Helligkeit. Mich durchfuhr der Gedanke: Das sind keine Blüten, das ist eine andere Welt! Alles war offen. Und ich saß nicht mehr im Gras, ich war in einer anderen Dimension. Mir war klar: Die kleine Welt, in der ich mein Buch las, die nicht viel größere Welt, in der ich Soldat war und in der ein Krieg tobte, war wie ein Gefängnis, dessen Mauern mir die eigentliche Wirklichkeit verstellten. Aber die Welt ging weiter! Ich war in unendlichen Räumen, die mir sonst verschlossen waren. Eine größere Welt, vielleicht eine »geistige«, wandte sich mir zu, öffnete sich mir, und mich überkam der Gedanke, ich könne nie mehr eine andere Welt bewohnen als diese, die aus der kleinteiligen Welt bestand, in der ich Soldat war, und aus einer riesigen andersartigen Welt in ihrem Hintergrund. Nach einer Zeit, von der ich nicht sagen könnte, wie lang sie war, hatte ich wieder mein Buch in der Hand.
Diese Erfahrung war so nachhaltig, dass ich bis zum heutigen Tag blühende Schlehen nicht sehen kann, ohne sofort im Jahr 1943 zu sein und im Fort Bron. Ein paar weißblühende Büsche sind einige meiner wichtigsten Lehrer gewesen. Und sie haben mich deutlicher auf den christlichen Glauben hingeführt als alles, was ich damals von meiner Kirche gesagt bekam. Bernhard von Clairvaux muss Ähnliches erlebt haben; er sagt: »Ich hatte keine anderen Meister als die Buchen und die Eichen.« Wenn mir heute einer sagen würde: Du warst überreizt. Oder: Du warst in einem labilen Zustand. Oder: Das hast du dir ausgedacht. Oder: Das war ein Notwehrerlebnis, das dir dein Leben als Soldat erträglich machen sollte, dann würde mich das nicht im mindesten stören. Für alles, was der kleine Mensch in uns nicht verstehen will, hat er seine passenden Erklärungen.
Wem sich die größere Wirklichkeit einmal geöffnet hat, der kann die kleine, die er bewohnt, nicht mehr zureichend finden. Für mich waren die weißen Schlehen das, was von Mose erzählt wird: er habe am brennenden Dornbusch die verzehrende Gegenwart Gottes erfahren. Ich hätte es sofort verstanden, wenn jemand mir gesagt hätte: »Zieh deine Schuhe aus, diese größere Welt, die du betrittst, ist heiliges Land«, auch wenn das schwierig gewesen wäre bei den schweren Schaftstiefeln, die ich trug. Ich empfand, ich atmete die Weite des Universums ein oder mehr noch die Kraft und die Heiligkeit Gottes. Ich atmete mit in seinem unendlichen Atem. Die Luft war ein Meer, durchlichtet von der Gegenwart von etwas, das man als Gott zu bezeichnen pflegt. Die Welt war, wie der Psalm es ausdrückt, das »Kleid, das Gott anhat«. Oder wenn mir heute ein Psalm sagt, die Bäume auf dem Feld »lobten Gott«, dann ist mir das sehr vertraut. Ich höre es, seit ich die Schlehenbüsche von ihm singen hörte.“

Kleine Übung:
Ich stelle mich hin.
Ich nehme einmal mit allen Sinnen bewusst wahr,
wer oder was um mich ist:
Mit den Augen, den Ohren, der Nase…
Personen, die Landschaft, den Anblick einer Wiese…
Dazu rezitiere ich (so ungefähr) ein paarmal
ein Wort von Meister Eckart rezitieren
»Du, Mensch,
schau dich in deinem Leben nie so an,
als wärst du ferne von Gott.
Und wenn du dich nicht so ansehen kannst,
dass du nah seist bei Gott,
so fasse doch den Gedanken,
dass Gott nahe bei dir ist.«

Kleines Gebet als Friedenswunsch von Lothar Zenetti:
Dem da
dem andern
dem x-beliebigen
dem wildfremden
der mir wurscht ist
der mich nichts angeht
dem man nicht trauen kann
dem man besser aus dem Weg geht
dem man’s schon von weitem ansieht
dem da
dem Spinner
dem Blödmann
dem Besserwisser
dem Speichellecker
der nicht so tun soll
dem’s noch Leid tun wird
der mir’s noch büßen soll
der noch was erleben kann
der sich nicht unterstehen soll
dem ich’s schon noch zeigen werde
dem da
wünsche ich Frieden

Lied: Hevenu shalom aleichem

Sieben und mehr erste Osterworte Jesu – Vierte Station: Emmaus, die II.: „Musste Christus nicht dies alles erleiden“?

Ein Auferstehungsweg in der 2. Woche nach Ostern
bzw. in der orthodoxen Osterwoche 2020

Vierte Station: Emmaus, die II.:
„Musste Christus nicht dies alles erleiden“?

Psalmgebet: Psalm 23
Der HERR ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch
im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl
und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.

Die biblische Geschichte aus Lukas 24:
»Was ist denn geschehen?«, fragte Jesus. Sie erwiderten: »Es geht um Jesus von Nazaret, der sich durch sein Wirken und sein Wort vor Gott und vor dem ganzen Volk als mächtiger Prophet erwiesen hatte.
Ihn haben unsere führenden Priester und die anderen führenden Männer zum Tod verurteilen und kreuzigen lassen.
Und wir hatten gehofft, er sei es, der Israel erlösen werde! Heute ist außerdem schon der dritte Tag, seitdem das alles geschehen ist.
Doch nicht genug damit: Einige Frauen aus unserem Kreis haben uns auch noch in Aufregung versetzt. Sie waren heute früh am Grab
und fanden seinen Leichnam nicht. Als sie zurückkamen, erzählten sie, Engel seien ihnen erschienen und hätten ihnen gesagt, dass er lebt.
Daraufhin gingen einige von uns zum Grab und fanden alles so, wie es die Frauen berichtet hatten. Aber ihn selbst sahen sie nicht.«
Da sagte Jesus zu ihnen: »Ihr unverständigen Leute! Wie schwer fällt es euch, all das zu glauben, was die Propheten gesagt haben!
Musste denn der Messias nicht das alles erleiden, um zu seiner Herrlichkeit zu gelangen?«
Dann ging er mit ihnen die ganze Schrift durch und erklärte ihnen alles, was sich auf ihn bezog – zuerst bei Mose und dann bei sämtlichen Propheten.
So erreichten sie das Dorf, zu dem sie unterwegs waren. Jesus tat, als wollte er weitergehen.
Aber die beiden Jünger hielten ihn zurück. »Bleib doch bei uns!«, baten sie. »Es ist schon fast Abend, der Tag geht zu Ende.« Da begleitete er sie hinein und blieb bei ihnen.
Als er dann mit ihnen am Tisch saß, nahm er das Brot, dankte Gott dafür, brach es in Stücke und gab es ihnen.
Da wurden ihnen die Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Doch im selben Augenblick verschwand er; sie sahen ihn nicht mehr.
»War uns nicht zumute, als würde ein Feuer in unserem Herzen brennen, während er unterwegs mit uns sprach und uns das Verständnis für die Schrift öffnete?«, sagten sie zueinander.

Unverzüglich brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück.

Zur Besinnung:
Es tut gut, sich jemandem anzuvertrauen. Es ist gut, dass Jesus immer wieder nachfragt. Und so fangen sie an, im Laufe des Gesprächs dem Leiden eine Bedeutung abzugewinnen. Und auf einmal können sie dem Tod Jesu einen Sinn für sich abgewinnen.
„Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?“
Ich weiß nicht, an welche Stellen der Heiligen Schriften Israels (also unser Altes Testament) Jesus erinnerte und damit das Schreckliche und zugleich zutiefst Geheimnisvolle des Todes am Kreuz deutete.
Vielleicht war es unter anderem folgender Abschnitt aus dem Jesajabuch, ein Abschnitt, der zumindest den frühen Christen sehr half, Worte für das Mysterium von Karfreitag und Ostern zu finden. Wenn schon nicht eigene, so doch Bibelworte wie diese:
Wer glaubt dem, was uns verkündet wurde,
und an wem ist der Arm des HERRN offenbart?
Fürwahr, er trug unsre Krankheit
und lud auf sich unsre Schmerzen.
Wir aber hielten ihn für den, der geplagt
und von Gott geschlagen und gemartert wäre.
Aber er ist um unsrer Abtrünnigkeit willen verwundet
und um unsrer Sünde willen zerschlagen.
Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten,
und durch seine Wunden sind wir geheilt.
Wir gingen alle in die Irre wie Schafe,
ein jeder sah auf seinen Weg.
Und er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen,
da er für die Missetat seines Volks geplagt war.
Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen
und bei Übeltätern, als er gestorben war,
wiewohl er niemand Unrecht getan hat
und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist.
Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat,
wird er Nachkommen haben und lange leben,
und des HERRN Plan wird durch ihn gelingen.
Weil seine Seele sich abgemüht hat,
wird er das Licht schauen und die Fülle haben.
Durch seine Erkenntnis wird er,
mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen;
denn er trägt ihre Sünden.

Jesus als Knecht Gottes, und der Ort von Golgatha und der Friedhof ein Ort, wo Gott nicht da ist und doch viel gegenwärtiger als gedacht.
Jedenfalls können die zwei mit Hilfe des Weggefährten den dunklen Erinnerungen einen tiefen Sinn abgewinnen:
„Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?“

Am Ende des Weges wollen sie den Fremden nicht ziehen lassen: „Bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt.“ In der Gemeinschaft mit ihm schnürt die Trauer nicht mehr den Hals zu. Jetzt können die beiden Jünger erstmals seit Tagen wieder etwas essen und trinken. Sie haben wieder Teil am Leben, die Lebensfreude kehrt zurück. Während sie essen, nimmt Jesus das Brot, dankt, bricht es und gibt es ihnen. Da erkennen sie ihn als den von den Toten Auferstandenen. Auch wenn er sich nun ihren Blicken entzieht, wissen sie, dass das Leben stärker ist als der Tod. Nun begreifen die beiden Jünger den Sinn des leeren Grabes. Sie können dieses Zeichen deuten, wie sie im Brechen des Brotes erkennen, dass Jesus als Christus vom Tode erstanden ist. Nun können sie sich freuen, ohne die dunkle Erinnerung zu verdrängen. Sie können umkehren und den Weg zurückgehen, den sie zuvor gegangen waren. Sie können wieder den Ort betreten, den sie eben noch verlassen zu müssen meinten, die Stätte der Trauer und der Verzweiflung. Und dieser Weg erscheint ihnen wie eine Rückkehr ins Leben, wie eine Heimkehr aus der Dunkelheit an den Ort des Lichtes. Am Ende können sie glauben und bekennen: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.“ Sie brauchen nicht ein Aufputschgetränk – der Jubelruf selber verleiht ihnen Flügel. So kommen sie bei den anderen wieder an.

Anregung zu einer kleinen Übung:
Gezwungenermaßen ist es still geworden auf den Straßen und am Himmel. Die allgemeine Betriebsamkeit ist unterbrochen. Für viele eine schwere Zeit. Und doch – eben eine Zeit der Stille.
Sonst ist es schwer, für sich eine Zeit der Stille zu finden. Nun lade ich ein, das zu nutzen:
In der Stille des Morgens oder abends oder auch mitten am Tag:
Sich hinsetzen. Die stille wahrnehmen. In die Stille lauschen, sie in sich aufnehmen.
Und dann – vielleicht – auch folgendem nachdenken in der Stille Raum geben:
Wo im Rückblick konnte ich Gottes Fügung erkennen?
Und damit neu in die Zukunft aufbrechen?
Denn wir leben nicht, um am Ende einzugehen, sondern sterben, um einzugehen in die Herrlichkeit

Ein Gebet aus dem Evangelischen Gesangbuch (bayr. Ausgabe):
O unvertrauter Gott,
wir suchen Dich an Orten,
die Du schon verlassen hast,
und sehen Dich nicht,
selbst wenn Du vor uns stehst.
Gib, dass wir Dich in Deiner Fremdheit erkennen
und uns nicht an vertrauten Schmerz klammern,
sondern frei sind,
die Auferstehung zu verkünden,
im Namen Christi.
(Janet Morley)

Ein kleiner Lobpreis aus dem Lied „ER ist erstanden“
Verse 4 und 5

Geht und verkündigt, dass Jesus lebt,
darüber freu sich alles, was lebt.
Was Gott geboten, ist nun vollbracht,
Christ hat das Leben wiedergebracht.
Lasst uns lobsingen vor unserem Gott,
der uns erlöst hat vom ewigen Tod.
Sünd ist vergeben, Halleluja!
Jesus bringt Leben, Halleluja!

Er ist erstanden, hat uns befreit;
dafür sei Dank und Lob allezeit.
Uns kann nicht schaden Sünd oder Tod,
Christus versöhnt uns mit unserm Gott.
Lasst uns lobsingen vor unserem Gott,
der uns erlöst hat vom ewigen Tod.
Sünd ist vergeben, Halleluja!
Jesus bringt Leben, Halleluja!


(Verse 4 u. 5 von EG 116; T.: Ulrich Leupold 1969 nach dem Suaheli-Lied „Mfurahini Haleluya“ von Bernard Kyamanywa. M.: aus Tansania)

Sieben und mehr erste Osterworte Jesu – 3. Station: Emmaus die I. : „Was verhandelt ihr da gerade?“

Ein Auferstehungsweg in der 2. Woche nach Ostern
bzw. in der orthodoxen Osterwoche 2020

3. Station: Emmaus die I. : „Was verhandelt ihr da gerade?“

(Fensterbild aus der Martinskirche)

Ein Psalmgebet: Verse aus Psalm 139
HERR, du erforschest mich
und kennest mich.
Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es;
du verstehst meine Gedanken von ferne.
Ich gehe oder liege, so bist du um mich
und siehst alle meine Wege.
Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge,
das du, HERR, nicht alles wüsstest.
Von allen Seiten umgibst du mich
und hältst deine Hand über mir.
Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch,
ich kann sie nicht begreifen.
Wohin soll ich gehen vor deinem Geist,
und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?
Führe ich gen Himmel, so bist du da;
bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.
Nähme ich Flügel der Morgenröte
und bliebe am äußersten Meer,
so würde auch dort deine Hand mich führen
und deine Rechte mich halten.
Spräche ich: Finsternis möge mich decken
und Nacht statt Licht um mich sein -,
so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir,
und die Nacht leuchtete wie der Tag.
Finsternis ist wie das Licht.
Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz;
prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.
Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin,
und leite mich auf ewigem Wege.

Biblische Geschichte aus Lukas 24:
Am selben Tag gingen zwei von den Jüngern nach Emmaus, einem Dorf, das zwei Stunden von Jerusalem entfernt liegt. Unterwegs sprachen sie miteinander über alles, was in den zurückliegenden Tagen geschehen war; und während sie so miteinander redeten und sich Gedanken machten, trat Jesus selbst zu ihnen und schloss sich ihnen an. Doch es war, als würden ihnen die Augen zugehalten: Sie erkannten ihn nicht.
»Worüber redet ihr denn miteinander auf eurem Weg?«, fragte er sie. Da blieben sie traurig stehen, und einer von ihnen – er hieß Kleopas – meinte: »Bist du der Einzige, der sich zur Zeit in Jerusalem aufhält und nichts von dem weiß, was dort in diesen Tagen geschehen ist?« –
»Was ist denn geschehen?«, fragte Jesus.

Zur Besinnung:
Man kannte Jesus sehr gut und verstand ihn doch (noch) nie so recht. So erging es seinen Jünger*innen. Und auch anderen. Erst recht seine Todfeinde haben nicht verstanden, wofür Jesus warb und einstand.
Aber man erkannte ihn immer wieder, wenn man ihm begegnete. Sogar Leute, die ihn nur vom Hören-Sagen kannten und seine heilsame Nähe suchten, erkannten sofort: Das ist er.
Nach Ostern ist das ein wenig anders. Eigentlich ganz anders. Obwohl Jesus derselbe geblieben ist und sich absolut treu bleibt.
Es ist wie mit Gott. Gott bleibt sich absolut treu als der, der für uns liebend geschieht und ist doch im Zweifelsfall der, der so ganz anders ist als die Bilder, die wir von ihm haben (Von A wie „Allmächtiger“ bis Z wie „Zorniger“). Gott geht mit, und man erkennt ihn nicht, weil er sich so überraschend anders zeigt.
Und das ist mit Jesus als gottewig Lebendiger nun nach Ostern anscheinend genauso.
Maria erkennt ihn nicht,
und die beiden traurigen Gestalten auch nicht.
Sie wollen nur noch Weg vom Ort geplatzter Hoffnungen und zerstörten Glaubens, ab nach Hause, Decke über den Kopf.
Aber auch das ist ein Weg, den jemand mitgeht.
Zufall? Notwendigkeit?
Und Jesu wieder erstes Wort an die beiden ist eine Frage:
Womit seid ihr beschäftigt? Was aus dem, was war oder was kommen könnte, beschäftigt euch so, dass ihr nicht offen seid für das, was jetzt geschieht? Dass ihr z.B. jetzt nicht alleine seid? Das WIR zusammen den Weg gehen. Diesen Weg zu euch nach Hause?

So mag Jesus ganz unerkannt auch nach uns fragen. Etwa bei einer Begegnung, der wir nicht ausweichen können.
Wie wenn ein Kind den Homeofficeplatz der Eltern stürmt und sein Anliegen hat.
Jesus fragt nach uns –
womit sind wir beschäftigt? Was aus dem, was war und was kommen könnte, verappt uns gewissermaßen die Sinne?
Können wir beschäftigt wieder offen werden

  • für (s)eine biblische Botschaft
  • für das Lied der Lerche, die unter wirklich blauem Himmel singt
  • für das wunderbare, das Menschen gerade einfällt, womit sie einander helfen und kreativ tatsächlich Lust auf Leben und Zukunft machen?

Die Jünger hören die Frage des für Sie noch Fremden.
Das können sie noch.
Oder ist das bereits hier ein Wunder? Sie können wieder eine für sie hilfreiche Frage hören.
HÖREN unterwegs im Leben – das hilft auch beim Sehen…
Beim Hinsehen auf das, was war – und wie man dem eine hilfreiche Deutung geben kann. Dazu mehr bei der nächsten Station.

Vorschlag für eine kleine Übung:
Sie brauchen dafür ein schönes Blatt und einen schönen Stift (bitte genau das und nicht ein elektronisches Gerät!)
Notieren sie sich f etwas, was ganz wichtig wäre, mit jemandem (mit wem?) zu „verhandeln“ oder:
„Auf wen zu hören (!) nehme ich mir vor?“

Ein Gesangbuchlied als Gebet: Ich möchte, dass einer mit mir geht
Ich möcht’, dass einer mit mir geht,
der’s Leben kennt, der mich versteht,
der mich zu allen Zeiten kann geleiten.
Ich möcht’, dass einer mit mir geht.

Ich wart’, dass einer mit mir geht,
der auch im Schweren zu mir steht,
der in den dunklen Stunden mir verbunden.
Ich wart’, dass einer mit mir geht.

Es heißt, dass einer mit mir geht,
der’s Leben kennt, der mich versteht,
der mich zu allen Zeiten kann geleiten.
Es heißt, dass einer mit mir geht.

Sie nennen ihn den Herren Christ,
der durch den Tod gegangen ist;
er will durch Leid und Freuden mich geleiten.
Ich möcht’, dass er auch mit mir geht.

(EG 209; Text und Melodie: Hanns Köbler 1964)

Sieben und mehr erste Osterworte Jesu – 2. Station: „Rühr mich nicht an“

Sieben und mehr erste Osterworte Jesu
Ein Auferstehungsweg in der 2. Woche nach Ostern
bzw. in der orthodoxen Osterwoche 2020


2. Station: „Rühr mich nicht an“

Psalmgebet: Aus Psalm 118
Danket dem HERRN; denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.
Der HERR ist meine Macht und mein Psalm
und ist mein Heil.
Man singt mit Freuden vom Sieg
in den Hütten der Gerechten:
Die Rechte des HERRN behält den Sieg!
Die Rechte des HERRN ist erhöht;
die Rechte des HERRN behält den Sieg!
Ich werde nicht sterben, sondern leben
und des HERRN Werke verkündigen.
Der HERR gibt mich dem Tode nicht preis.
Ich danke dir, dass du mich erhört hast
und hast mir geholfen.
Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
ist zum Eckstein geworden.
Das ist vom HERRN geschehen
und ist ein Wunder vor unsern Augen.
Dies ist der Tag, den der HERR macht;
lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein.
O HERR, hilf!
O HERR, lass wohlgelingen!
Du bist mein Gott, und ich danke dir;
mein Gott, ich will dich preisen.

Biblische Geschichte aus Johannes 20:
Da wandte Maria sich um und rief: »Rabbuni!« (Das bedeutet »Meister«)
Jesus sagte zu ihr: »Halte mich nicht fest! Ich bin noch nicht zum Vater in den Himmel zurückgekehrt. Geh zu meinen Brüdern und sag ihnen, dass ich zu ihm zurückkehre – zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.«
Da ging Maria aus Magdala zu den Jüngern zurück. »Ich habe den Herrn gesehen!«, verkündete sie und erzählte ihnen, was er zu ihr gesagt hatte.

Zur Besinnung:
„Rühre mich nicht an!“ – in diesen Zeiten erhält dieses Wort Jesu noch einmal einen anderen, besonderen Klang. Es bringt mich auf die Spur, im auferlegten Kontaktverbot eine Chance zu entdecken.
In der Geschichte will Maria Jesus wieder anfassen, begreifen, ihn umarmen, wieder seine Nähe spüren, seinen Duft wahrnehmen. Ihn so haben, wie es einmal war.
Jesus entzieht sich ihr mit dem Hinweis, dass er ebenfalls noch einen Weg vor sich hat. Einen Weg, der zunächst wegführt von den Seinen, damit er ihnen neu begegnen kann. Ganz nah, ganz Gott, ganz überall und ganz und gar.
Maria Magdalena muss dafür befreit werden und soll, kann, darf die gleiche Erfahrung machen wie alle Christen bis heute: Jesus lässt sich wie Gott nicht festhalten, nicht festlegen auf ein Bild, eine bestimmte Erfahrung (die ihr recht zu ihrer Zeit an besonderem Ort wohl hatte).
Im gegenwärtigen Kontaktverbot beginnt die Auferstehung einer neuen Nähe. Maria wird davon getragen sein und sich auf den Weg machen, den anderen Ostern zu verkünden.
Jesus ist also nicht einfach der gute, vorbildliche Mensch, der er zu Lebzeiten zweifelsohne (auch) war. Jetzt wird eine neue Dimension beschritten: Der Weg Jesu vom jüdischen Messias zum Christus der Völker, zum Heiland der Welt.
Diese Ostergeschichte signalisiert:
Auch wir müssen einander immer wieder loslassen. Wir können uns und keinen anderen festlegen auf „wie es bisher war“.
Spätestens nicht mehr bei Beerdigungen.
Wir lassen einen Menschen endgültig los und lassen ihn damit seinen wEg ganz zu Gott gehen. Doch es ist eine wunderbare Erfahrung, die Menschen dabei gemacht haben: Ein Verstorbener kommt dann auf einmal wieder nahe, nur anders, aber möglicherweise inniger als zuvor.
Auf der anderen Seite des Lebens steht die Geburt. Viele lassen ihre Kinder schon als Säuglinge taufen. Auch da wird ein Mensch ganz seinem Weg mit Gott anvertraut. Es wird losgelassen. Das Kind der Eltern wird Kind Gottes, vereinfacht ausgedrückt. Eltern lassen ihr Kind los, und damit darf das Kind sich als der Mensch entwickeln, den Gott besonders begabt hat. Das Kind, ein ganzer Mensch, ist nicht mehr mögliche Projektionsfläche für Wünsche und Vorstellungen der Eltern an das Leben, wie sie es gerne geführt hätten.
So ließe sich das ganze Leben von Station zu Station beschreiben: Immer wieder einander loslassen, sich freigeben, sich neu finden.
Auch wenn es turbulent zugeht, etwa in der Pubertät, oder wenn Umstände Distanz gebieten.
Manchmal gehe ich auch zu mir selbst auf Distanz. Ich habe da ja ein gewisses Selbstbild von mir und lege auch mich gerne fest auf das, was ich meine zu können oder noch mehr nicht zu können.
Dann ruft plötzlich etwas in mir „Rühr mich nicht an – ich bin auf dem Weg“. Ich betrachte mich gleichsam von außen. Vielleicht bin ich ja jetzt und in Zukunft gar nicht so, wie ich bisher meinte, zu sein? Welche Möglichkeiten tun sich auf, mir selbst neu nahe zu kommen, mit mir selbst neu in Berührung zu geraten?
Eine Übung dafür ist: Ich stelle mir vor, ein Engel – und manchmal Jesus selbst – erzählt mir, wie mein Tag gewesen ist, wie er mich erlebt hat und – was er mir mit auf den Weg gibt. Und manchmal brauche ich mir so etwas nicht vorzustellen, manchmal trifft mich eine Weisheit, ein Gedicht, ein Bibelwort und ich betrachte mich distanziert: Schau an, auch das steckt in dir. Vor allem aber: Du bist ja ganz – ganz geliebt und gehalten. Auch da, wo dir „Glaube“, gar „Osterglaube“ fremd ist.
Und diese österliche Lebensübung kann fortgesetzt werden. Ich betrachte etwa einen mir vertrauten Baum. Bisher sah ich vielleicht Blüten, Blätter, Äpfel, Schädlinge, und so weiter… Doch ich versuche, den Baum als Gegenüber wahrzunehmen, als etwas, was nicht mir gehört und was nicht so und so ist – sondern ganz da, ganz gegenüber. Ganz neu.
Warum so etwas üben? Weil es gut ist, auch so sogar einen Lebensgefährten von Zeit zu Zeit „loszulassen“, ihn „nicht zu berühren“, ihm zugestehen, seinen / ihren Weg mit Gott zu Gott zu gehen, wie auch immer das jeder für sich nennen mag. Und so, im Loslassen, verschwinden die kleinen Macken, die blauen Augen, alles das, was man so am Gefährten feststellt und worüber man ihn definiert. Auch Sätze wie „Damals, da hast du noch…“, „Damals, dahaben dir doch…“ werden losgelassen. Dafür ersteht Neugier auf: Wie wird es in Zukunft mit uns sein, wenn wir uns neu und wunderbar nahe kommen, DU und ICH?
Last, not least:
Ich lasse meine bisherigen Bilder von Gott und von Jesus los. Sie haben ihr Recht zu besonderer Zeit und an bestimmten Ort. Doch Jesus und durch ihn Gott geht seinen Weg. In die Welt. Dort werde ich ihm neu begegnen. Könnte allerdings sein, dass es ein alter kranker Mann in einem Flüchtlingslager ist, in dem ER neu nahekommt. Und dieser da ist dann auch gar kein Christ…
Könnte sein, könnte auch anders sein, könnte auch sein, dass er nahe kommt im Lächeln eines wildfremden Menschen, wenn ich dieser Zeit unterwegs bin. Mir ist tatsächlich noch nie so wie jetzt aufgefallen, wie viele Menschen einander zu lächeln können – so über die Distanz hinweg.
Und damit ganz nahe kommend.

Noch eine kleine Übung für Zuhause:
Stellen Sie, wenn sie nicht alleine wohnen, ihrem Partner, ihrem Kind einander gegenüber. Strecken sie sich die nach vorne gewandten Handflächen entgegen, als ob sie sich berühren wollten. Aber kurz davor halten sie inne. Halte sie es aus, diese kleine Distanz – und spüren Sie dem nach, wie dennoch eine Art Energie fließt. Wenn Sie mögen, schließen Sie dabei die Augen.
Falls Sie alleine wohnen: Das geht auch mit sich selbst: Tun Sie so, als wollten sie vor sich Ihre Handinnenflächen aufeinander legen. Aber kurz davor halten Sie inne. Und spüren nach, ob und wie da eine Art von Energie fließt. Und dann mögen Sie an jemand denken, der Ihre guten Gedanken braucht.

Kleines Gebet:
Jesus,
wenn ich mir zu sicher bin
über mich, über andere,
über Gott und die Welt,
dann sag es mir: Rühr mich nicht an.
Wenn ich meine, ich muss alleine fertig werden mit allem,
dann rühr mich an
durch die Nähe eines anderen.
Und wenn ich meine, alles habe doch keinen Sinn,
und mein Leben schon gar nicht,
dann lass mich auferstehen.
Bring mich neu auf den weg,
und der führt vermutlich zu anderen Menschen,
die gerade mich jetzt brauchen.
Und wenn es „nur“ ein Anruf ist, den ich erhalte.

Sieben und mehr erste Osterworte Jesu – Vorwort und Eröffnung

Sieben und mehr erste Osterworte Jesu
Ein Auferstehungsweg in der 2. Woche nach Ostern
bzw. in der orthodoxen Osterwoche 2020


Vorwort

Vor Ostern präsentierten wir eine Kurzfassung unseres ökumenischen Kreuzweges. Den Umständen geschuldet konnten wir ihn nicht leibhaftig in Petterweil begehen. Am Karfreitag erschien die letzte Station, bereits ein Vorblick auf Ostern: „Jesus lebt und ich mit ihm!“
Zu Karfreitag lag in unserer Kirche eine Besinnung zu den letzten sieben Worten Jesu am Kreuz aus. Dies brachte mich bereits vor einem Jahr auf die Idee: Was waren eigentlich die ersten 7 (oder mehr) Worte Jesu NACH seiner Auferweckung? Das war dann auch das Thema eines ökumenischen österlichen „Auferstehungsweges“ am Ostermontag 2019. Diesen Weg habe ich nun neu bearbeitet für unseren Blog.

Eröffnung

Es darf auf dem Weg im Lichte der Osterbotschaft im Unterschied zum Kreuzweg geredet, sogar gelacht werden.

Darum hier ein Kalauer von Lothar Zenetti:
Ich war im Kino

Blutüberströmt
Fertiggemacht
Fiel einer um
Als Letzter von allen –
Das war ein Western!

Ich war in der Kirche

Blutüberströmt
Fertiggemacht
Stand einer auf
Als Erster von allen
Das war ein Ostern

Erste Station: „Maria“

Psalmgebet aus Jes. 43
So spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob,
und dich gemacht hat, Israel:
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;
ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!
Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein,
und wenn du durch Ströme gehst, sollen sie dich nicht ersäufen.
Wenn du ins Feuer gehst, wirst du nicht brennen,
und die Flamme wird dich nicht versengen.
Denn ich bin der HERR, dein Gott,
der Heilige Israels, dein Heiland.
Du bist teuer in meinen Augen und herrlich
Ich habe dich lieb.
So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir.

Die biblische Geschichte aus Johannes 20:
Maria stand draußen vor dem Grab Jesu; sie weinte. Und während sie weinte, beugte sie sich vor, um ins Grab hineinzuschauen. Da sah sie an der Stelle, wo der Leib Jesu gelegen hatte, zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen am Kopfende und den anderen am Fußende.
»Warum weinst du, liebe Frau?«, fragten die Engel. Maria antwortete: »Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wohin sie ihn gebracht haben.«
Auf einmal stand Jesus hinter ihr. Sie drehte sich nach ihm um und sah ihn, erkannte ihn jedoch nicht.
»Warum weinst du, liebe Frau?«, fragte er sie. »Wen suchst du?« Maria dachte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: »Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir bitte, wo du ihn hingelegt hast, dann hole ich ihn wieder.« –
Da sprach Jesus: »Maria!« Da wandte sie sich um und rief: »Rabbuni!«
„Mein Meister!“

Zur Besinnung: Wenn der Lebendige mich anspricht
Man hat ihr viel nachgesagt. Eine große Sünderin sei sie gewesen, gar eine bekehrte Prostituierte, jedenfalls eine Frau mit zweifelhaftem Ruf (wer rief sie eigentlich so zweifelhaft?). Spätere Bestsellerautoren dichteten ihr gar ein sexuelles Verhältnis mit Jesus an, ein Kind solle sie von ihm gehabt haben. Sozusagen ein Enkelkind Gottes…
Tatsächlich kam sie aus Magdala am Westufer des Sees Genezareth, darum Maria Magdalena. Wir wissen nicht viel von ihr, und doch ist sie neben Jesu Mutter Maria die am häufigsten erwähnte Frau im Neuen Testament. Als sie Jesus kennenlernte, war sie offenbar schwer krank. Er heilte sie. Und sie wurde eine seiner Jüngerinnen. Mit den anderen Frauen stand sie Jesus bei, als er am Kreuz hing. Mit den anderen Frauen wollte sie sich am Tag nach dem Sabbat darum kümmern, dass Jesus, der so schnell beigesetzt werden musste, doch noch ein nach damaligem brauch „ordentliches“ Begräbnis bekam. So wurde sie Zeugin für des lebendigen Gottes Gegenwart in Jesus: ER LEBT. Gott hat ihn nicht verlassen, nicht im Tod gelassen, er hat ihn aufgeweckt von den Toten. Damit wir wissen, wo unser Leben endet.
Nach dem Evangelisten Johannes ist sie sogar die erste Osterzeugin.
Doch zunächst mögen ihre Gedanken und Gefühle gerast haben. In ihrer Trauer blickt sie in ein leeres Grab. Wer hat Jesu Leiche entfernt und warum? Als Frau hat sie gelernt: Fragen kostet nichts und ist sinnvoller als wild zu spekulieren. Sie fragt also den Friedhofsgärtner. Der sinniger Weise zur rechten Zeit auftaucht.
Ich denke nicht, dass Maria vor Trauer und Verzweiflung blind war, und darum Jesus nicht gleich erkannte. Wie in anderen Evangelien wird erzählt, dass Jesus als Auferstandener sich je und je zu erkennen geben MUSS. Er ist derselbe wie der Tote und zuvor der Rabbi Jesus. Zugleich ist er nun „verwandelt“. Er ist wie Gott, er ist Gott. An manchen Stellen seines Lebens zuvor blitzte es schon auf, da, wo er heilte, oder des nachts auf dem See seinen Jüngern erschien, oder auf dem Berg der Verklärung. Nun lebt er Gottes Ewigkeit. Nun muss er sich offenbaren. Ist sozusagen Gottes Offenbarungseid auf sein ganzes Leben, auf unser ganzes Leben.
Jesus offenbart sich und ruft Maria bei ihrem Namen: Er hat sie bei ihrem Namen gerufen, sie ist sein.
Wieviel Zärtlichkeit mag da mitgeschwungen haben, wieviel himmlische Liebe: „Maria“. Und Maria weiß sich erkannt, weiß sich getröstet, weiß nun, wer sich ihr da zeigt als der Lebendige, als ihr Lebensinhalt.
„Maria“ – Wie Gott spricht Jesus einen Menschen in tiefster Seele an. Und damit gewinnt ein Mensch einen neuen Lebensauftrag, und sein Leben hat unverlierbaren Sinn.
Maria wird nicht nur beim Namen gerufen, sie wird IHR Leben gerufen. Sie wird Jesu Zeugin werden. Es deutet sich an, wie nun ihrerseits Maria Jesus beim Namen nennt: „RAbbuni“ – „Mein Meister“. Insofern hat eine alte Legende recht, nach der Maria als Jesu Zeugin sogar in Südfrankreich wirkte und von da aus sogar bis Nordwestspanien kam…
Beim Namen gerufen ersteht Maria an der Seite Jesu auf in ihre Zukunft.

Kleine Übung:
Was im Psalm einst Israel zugesagt wurde, ist durch diese Geschichte jedem zugesagt:
Sie sind von IHM bei Ihrem Namen gerufen.
Vielleicht gezwungenermaßen im stillen Kämmerlein: Sprechen Sie ihren Namen laut aus. Sprechen sie ihn ganz liebevoll aus. Sogar zärtlich. Ein paar mal. Stellen Sie sich vor: So sind Sie angesprochen von IHM. Egal, wie es Ihnen gerade geht. Spüren Sie in sich nach, was es Ihnen bedeutet, so beim Namen ins Leben gerufen zu werden. In IHR Leben. Mit IHM.
Und dann denken Sie an jemanden und sprechen laut dessen Namen aus, ebenso liebevoll.
Und schon haben Sie ein Gebet für ein ganzes Leben gesprochen.

Zum Beten:
Ich sage Ja zu dem, der mich erschuf.
Ich sage Ja zu seinem Wort und Ruf,
zum Lebensgrund und Schöpfer dieser Welt,
und der auch mich in seinen Händen hält.

Ich sage Ja zu dem, der uns gesandt
und aus dem Tod zum Leben auferstand
und so trotz Hass, Gewalt und Menschenlist
für uns zum Freund und Bruder worden ist.

Ich sage Ja zu Gottes gutem Geist,
zum Weg der Liebe, den er uns verheißt,
zu wagen Frieden und Gerechtigkeit
in einer Welt voll Hunger, Angst und Leid.

Ich sage Ja zu Wasser, Kelch und Brot,
Wegzehrung, Zeichen, Zuspruch in der Not.
Ich sage Ja und Amen, weil gewiss:
Ein andres Ja schon längst gesprochen ist.

(EG + 50 T. u. M.: Okko Herlyn © tvd-Vlg.)

Ich bin ein Zwilling – vom gläubigen Thomas (Ostermontag 2020)

Ich bin ein Zwilling. Kennen Sie das? Sie haben die gleiche Mutter wie Ihr Bruder oder Ihre Schwester, aber Sie haben nicht den gleichen Platz im Leben Ihrer Eltern. Ständig beschleicht Sie das Gefühl, dass Sie zu kurz kommen, zu spät sind, es nicht richtig machen; nicht geliebt werden, sondern nur geduldet; nicht erste Wahl sind, sondern aus der zweiten Reihe.
Zwilling – das kann man sein, ohne einen leiblichen Zwillingsbruder, eine leibliche Zwillingsschwester zu sein.

Während der oder die andere das Sonntagskind ist, sind Sie ein Montagsmodell. Während der eine leicht durchs Leben kommt, verläuft bei Ihnen nichts rund, stoßen Sie an alle Ecken und Kanten. Während eine andere sich um nichts wirklich einen Kopf macht, machen Sie sich tausend Gedanken. Jemand strahlt, ist sich selbst und der Liebe der anderen sicher, und Sie dagegen stecken voller Zweifel und Fragen und kommen nicht gut an.
Wenn Sie das kennen, dann wissen Sie, wie ich, Thomas, genannt der Zwilling, mich fühle: nicht, wie jemand, den es doppelt gibt, zweimal, sondern wie einer, der die schlechtere Ausgabe ist, eigentlich überflüssig.
Wenn ich sterbe, kräht kein Hahn mehr nach mir, denn es gibt ja noch die anderen Schülerinnen und Schüler Jesu.

Thomas, der Zwilling, wurde ich genannt.
Nomen est omen, sagen die Lateiner. Der Name ist eine Vorbedeutung, und da ist etwas dran. Fragen Sie einmal Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen, die können Ihnen erzählen: von Kindern, die so sind, wie ihre Namen klingen, oder umgekehrt. Mit manchem Namen haben sie einfach einen Ruf weg und kämpfen ständig mit Vorurteilen und gegen Windmühlen oder mit erschreckenden Eigenschaften.
Und nach dem, was der Evangelist Johannes über mich schrieb, bin ich zu meinem zweiten Spitznamen gekommen:
der ungläubige Thomas.

Was habe ich verbrochen? Nichts. Was habe ich gemacht? Ich musste erst die Finger in die Wunden Jesus stecken, um zu glauben, dass der gekreuzigte und gestorbene auferstanden ist. Das denken Sie doch, oder? Und manche Künstler haben genau das mit Pinsel und Farbe auf Bildern festgehalten. Was Sie – nehmen Sie es bitte nicht persönlich, Sie befinden sich mit vielen anderen Christenmenschen in guter, frommer Gesellschaft – was Sie glauben, haben längst verstorbene Künstler Ihnen in den Kopf gemalt. Haben Sie schon einmal die Geschichte gelesen? Johannes schreibt nichts davon. Es ist wie mit dem Apfel, der in der Geschichte vom Paradies nicht vorkommt, den aber jeder kennt, oder wie mit Gott, der sicher kein alter Mann mit langem Bart ist, aber den wir uns oft so vorstellen, weil Künstler uns dieses Bild gemalt haben. Nun können wir aber nicht nur sehen, sondern auch lesen und hören. Und meine Geschichte hört sich anders an.

Ich kann‘s nicht glauben, dass Jesus auferstanden ist. Klar habe ich das gesagt. Aber mich deshalb zum Ungläubigen abzustempeln, ist unfair. Sie kennen doch uns Orientalen. Wenn wir etwas Trauriges oder Frohes hören, reagieren wir so. Reagieren Sie anders, wenn Sie etwas Unerwartetes hören. Sagen Sie nicht auch: „Ich kann’s nichts glauben!“ oder „Ich glaub es dir nicht!“ Wenn einer, der als verloren galt, wiedergefunden wurde, dann ist Ihr erstes Wort doch auch: „Ich glaub es nicht, du musst dich irren. Es kann nicht wahr sein!“ Das ist aber doch kein Zweifel, sondern pures Erstaunen und Freude im Übermaß. Die Nachricht ist zu schön, um wahr zu sein. Da kommen einem die Tränen. Aus Freude, nicht aus Schmerz.
Stellen Sie sich vor, wie das gewesen ist: In den Garten Gethsemane sind wir mit Jesus gegangen, weil er beten wollte. Schrecklich traurig war er, wir auch. Und die anderen und mich auch hat der Schlaf überrollt. Verdrängung würden die Psychologen heute sagen. Dann kamen mit Fackeln und Schwertern die Soldaten, und er wurde verhaftet. Da bin ich abgehauen und die anderen auch. Ist doch normal: Flucht, die aus dem Selbsterhaltungstrieb entspringt. Verbunden mit Angst und später einem schlechten Gewissen. Auf jedem Fall war alles aus. Und dann wurde er wie ein Verbrecher gekreuzigt und starb. Ende. Da denkt doch keiner an ein happy end.
Und dann erzählen die anderen, sie haben ihn gesehen, er ist auferstanden. Ich glaub’s ja nicht. Hätten Sie da sagen können, was wahr ist oder nicht? Da mag der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen sein.

Da kann doch was nicht stimmen. War die Kreuzigung eine Falschmeldung, gefakt? Das will man doch genauer wissen. Also: entweder stimmt an den Erzählungen von der Kreuzigung etwas nicht, oder an denen von seiner Auferweckung. Ich wollte die Wundmale an seinen Händen sehen. Ob ich wirklich meine Hand in die Wunde legen wollte, glaub ich nicht. Aber begreifen wollte ich alles: den Tod wie das Leben. Nicht nur hören, was mir die anderen erzählen, sondern selbst verstehen. Ist das etwa falsch?

Und plötzlich steht er dann wieder vor Ihnen, Jesus, der totgeglaubte und begrabene, kommt durch verschlossene Türen. Und sagt wie immer: „Shalom. Friede sei mit euch!“ Und dann sollten Sie lesen, was Johannes geschrieben hat. Jesus forderte mich auf: „Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Und ich antwortete: „Mein Herr und mein Gott!“

Kein Wort steht da, ich habe in seinen Wunden gewühlt. Dass haben erst die Künstler der folgenden Jahrhunderte – manche zumindest – so gemalt. Wie den berühmten Apfel, den Sie auf vielen Paradiesbilder sehen können, von dem aber nichts in der Bibel steht.

Was hätten Sie denn gemacht? Platt war ich. Überwältigt, ihn zu sehen. Vielleicht kennen Sie das, plötzlich haben Sie eine Erkenntnis, die haut sie um. Sie hören ein Wort, das alles verändert. Sie treffen auf einen Menschen, oder hören ein Musikstück, und plötzlich verändert sich Ihre Lebensperspektive, so als habe jemand in ihnen einen Schalter umgelegt. Tausend Lampen gehen gleichzeitig auf. Ich konnte nur erkennen und dann bekennen: „Mein Herr und mein Gott“ Und Jesus sagte: „Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“

Dass man mich zum „Zwilling“ gemacht hat, fast zum Gegenbild eines Glaubenden, kränkt mich. Aber noch ärgerlicher finde ich, dass Ihr späteren Generationen mich für einen „ungläubigen Thomas“ haltet und andere damit abstempelt.

Also: ich bin nicht der grundsätzliche Zweifler und Skeptiker. Aber ich will meine sieben Sinne nutzen, habe Herz und Verstand. Seit wann muss denn der Glaube den Zweifel fürchten? Was wir fürchten müssen, sind Selbstgerechtigkeit und Erstarrung. Bei aller Verunsicherung: Ich zweifle nicht an einem, der sagt, er hat Angst. Aber ich habe Angst vor dem oder denen, die sagen, sie kennen keinen Zweifel. Wenn ich mir selbst und anderen Zweifel eingestehe, unbequeme Fragen zu stellen und zuzulassen, geht die Welt nicht unter, wird vielleicht nur das Meer etwas aufgewühlt. Mehr aber nicht. Das Boot des Lebens wird dennoch getragen von den Wogen.

Wenn ich so bei Johannes die Geschichte lese, stehe ich doch gar nicht so dumm da. Zu guter Letzt bekommt meine Rolle einen ganz anderen Klang. Ich werde zu einem Bekenner. Ich glaube. Als hätte ich das vorher nicht getan. Ich war doch immer dabei. Gehörte zu den ersten Freunden Jesu. Aber selbst wenn es nicht so wäre, wenn ich wie Saulus zu einem Paulus geworden wäre. Stellen Sie sich das einmal vor, Sie kündigen Ihrem alten Selbst die Treue, Sie verwandeln sich grundlegend, Sie streifen Ihr altes Ego, Ihren alten Charakter ab. Nun sind Sie nicht nur ganz anders, sondern gerade wie umgedreht, Sie wechseln die Seite, die Perspektive und Ihre ganze Lebensart.

Ich persönlich beneide Sie nicht. Ich habe ihn gesehen, Sie haben nur die Worte und vielleicht den einen oder anderen Lichtblick, der in Ihr Leben einbricht. Dass Jesus Ihnen begegnet, wünsche ich Ihnen, auf die eine oder andere Weise. Viele Ostererfahrungen. Dass Sie glauben und lieben und hoffen. Dass Sie nicht vorschnell urteilen und abstempeln, sondern suchen und fragen. Dass Sie über Schweres und Dunkles hinauskommen, weil Jesu Geist Sie befreit, so dass Sie getragen und beflügelt auf einen guten Weg kommen, nicht nur alleine, sondern mit vielen anderen zusammen. Dass Sie sagen können, was ein unbekannter meiner jüdischen Glaubensgenossen sogar im Warschauer Ghetto entdeckte: „Ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint. Ich glaube an die Liebe, auch wenn ich sie nicht spüre. Ich glaube an Gott, auch wenn ich ihn nicht sehe.“

Johannes lässt meine Geschichte mit den Worten enden: „Noch viele andere Zeichen tat Jesu vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch.“ So als wollte er sagen, wenn ihr euch umhört und umschaut, entdeckt ihr noch viel mehr. Sogar heute. „Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“ Da gibt es nichts mehr zu sagen, außer: So sei es.

Und darum bin ich ein wenig später losgezogen und habe schließlich sogar in Indien Gemeinden gegründet. Die Thomaschristen. Wie ich – alles andere als ungläubig.
Amen.

Maria & Maria – Predigt zur Osternacht 2020 zu Joh.20,11-18

Liebe Gemeinde,
Gnade sei mit euch von Gott,
durch Christus, im heiligen Geist.

Maria,
so erzählt der Evangelist Johannes von der Osternacht,
Maria stand draußen vor dem Grab Jesu und weinte.
Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten. Und die sprachen zu ihr:
„Frau, was weinst du?“
Sie spricht zu ihnen:
„Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“
Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist.
Spricht Jesus zu ihr:
„Frau, was weinst du? Wen suchst du?“
Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm:
„Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.“
Spricht Jesus zu ihr:
„Maria!“
Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: „Rabbuni!“ (das heißt: Meister!)
Spricht Jesus zu ihr:
„Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“
Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: „Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.“

Auch diese Nacht hatte sie keine Ruhe gefunden.
Wie in den durchweinten Nächten zuvor hielt sie in ihren Händen jenes kleine Glasfläschchen. Es duftete noch immer zart nach dem Parfum, mit dem Maria vor wenigen Tagen ihren Jesus gesalbt hatte.
Daran musste sie nun immer und immer wieder denken:
Wie hatte sie sich gefreut, ihm etwas Gutes zu tun mit ihrem kostbaren Parfum! Und er hatte sich ebenfalls gefreut.
Doch dann musste sie erfahren: Man hat ihn gekreuzigt.
O Gott, warum? Warum ER???
Hatte sie ihn nicht gesalbt so, wie man einen Toten salbt?
Hatte sie ihn damit nicht zu Tode gesalbt?
Ihn bestärkt, nach Jerusalem zu gehen, obwohl er wusste, welche Lebensgefahr auf ihn lauert?
Maria fühlte sich schuldig, hätte am liebsten das Fläschchen auf dem Boden zertreten – aber war es nicht die einzige Erinnerung, die sie an ihren Jesus hatte?

In der noch sehr dämmrigen Morgenfrühe klopfte es zärtlich – leise und zugleich fest entschlossen an ihre Tür.
Maria aus Bethanien schreckte hoch, richtete sich mühsam auf – konnte man sie denn nicht allein lassen, ihre Trauer respektieren, ihren Schmerz?
Sie wollte alleine sein und alleine bleiben!

„Wer da?“ rief Maria mit rauer, unwirscher Stimme.

Eine Frauenstimme klang durch die verriegelte Tür:
„Ich bin es, Maria Magdalena, die, die mit Jesus hier bei euch in Bethanien war.“

Maria aus Bethanien erinnerte sich, schleppte sich zur Tür, schob, halb neugierig, halb widerwillig, den Riegel zurück und öffnete sie.
Im Dämmerlicht sah sie Maria Magdalena vor sich stehen, auch sie trug ein Trauergewand.
Aber deren Gesicht passte gar nicht dazu – diese Frau strahlte, als ob sie selber die Morgensonne sei!
Schnell wollte Maria aus Bethanien die Tür wieder zuschlagen – und bat nach einem Moment des Zögerns diese andere Maria dann doch zu sich herein.

Im Halbdunkel standen sie sich eine Weile gegenüber.
Schließlich deutete Maria Magdalena auf das leere Salbölfläschchen, das Maria aus Bethanien immer noch in ihrer Hand hielt:
„Es ist das Fläschchen, stimmt’s?“

Maria aus Bethanien nickte. Wie im Traum, weit weg, sah sie, dass Maria Magdalena einen kleinen, hölzernen Gegenstand ihr in die andere Hand drückte und hörte deren Worte:
„Nimm dies als wichtige Erinnerung an Jesus, ich habe es unterwegs für dich aus einem Stück Holz von den Olivenbäumen Gethsemanes geschnitzt.“

Maria aus Bethanien schaute auf das was Maria Magdalena ihr mitgebracht hatte.
Schlagartig war alles träumerische verschwunden, mit einem Schrei ließ sie entsetzt den Gegenstand fallen und keuchte:
„Ein Kreuz, das Kreuz, sein Kreuz..! Wie kannst du mir…?
Ich weiß, was ich getan habe, du brauchst es mir gar nicht vorwerfen, warum bist du eigentlich gekommen, … aber vielleicht hast du recht, ich habe ja schließlich….“
Weinend brach sie zusammen.

Maria von Magdala kauerte sich ruhig neben sie, hob das Kreuz vom Boden auf und nahm Maria von Bethanien in die Arme.
Leise sprach sie:
„Weißt du, ich verstehe dich nur zu gut, noch vorgestern weinte ich ebenso.
Aber jetzt möchte ich dir, gerade dir sagen, was ich und meine Freundinnen erlebt haben“.

Maria wartete geduldig, bis sich das Schluchzen gelegt hatte. Sie setzte sich neben Maria aus Bethanien und erzählte leise und eindringlich:
„Was du getan hast, war das Beste, was ein Mensch für Jesus tun konnte. Du hast ihm ein Zeichen der Liebe mit auf den Weg gegeben. Das treibt keinen Menschen in den Tod, im Gegenteil: So ein Zeichen stärkt und hilft einem Menschen erst recht dann, wenn er seinen letzten Weg gehen muss.
Du hast Jesus wirklich geholfen.
Und das wird er nie vergessen, glaube es mir,
genauso, wie er nie vergisst, dass wir bei ihm blieben, auch als er tot war, als wir ihn bestattet haben.“

Maria aus Bethanien hatte ihren Kopf erhoben bei diesen Worten, so, als lauschte sie jedem Wort nach…
„Wie, nie vergessen? Ein Toter vergisst doch alles, der Tod löscht jede Erinnerung…“
Hatte sie das nur gedacht oder laut gesagt?

Maria Magdalene sprach nach einer Pause weiter:
„ Ach ja, es war wirklich schrecklich… hilflos mussten wir zusehen, wie er litt,
Was hatte denn Jesus verbrochen?
Wo war da Gott, wo???“

Marias Stimme war unwillkürlich laut geworden, ihre Frage erfüllte den ganzen Raum.
Und wieder leise fuhr sie fort:
„Wir waren am Ende.
Und dann hauchte er sein Leben aus… aber weißt du, wie? Er hauchte, und es klang wie ein Ruf über alle Welt: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist, es ist vollbracht!“
Als endlich alle fort waren, standen wir immer noch dort auf Golgatha, und, wie soll ich es sagen, da war irgendwie –
Friede. Ja, Friede.
Es war so anders als sonst, wenn Menschen Menschen vernichten…
Wir holten Jesus vom Kreuz, wickelten ihn in ein neues Leichentuch, trugen ihn zum Friedhof, legten ihn in ein Felsengrab. Und schließlich wurde der Rollstein vor die Grabhöhle gerollt.
Ende.

Nein, nicht zu Ende.
Es klingt für dich vielleicht sehr seltsam, aber für uns war es nicht zu Ende. In uns hatte ein ganz tiefer Friede Platz genommen…

Jedenfalls nahmen wir uns vor, unseren Jesus nach dem Sabbath gleich zu besuchen und ihn zu salben, so, wie du: Liebevoll, zärtlich, wie einen, der leben soll…
Was dann geschah, hätten wir uns aber nie träumen lassen.
Stell dir vor,“
Marias Stimme wurde regelrecht munter,
„stell dir vor: es war so dämmrig wie vorhin, als wir gestern Morgen zum Friedhof gingen.
Als wir am Grab ankamen, packte uns tiefer Schreck.
Denn der Stein war beiseite gerollt, und im Grab – Jesu Leiche war weg!
Entsetzlich, man hat uns Jesu Leichnam genommen!
Doch dann, ich sage dir, alles, was wir bis dahin erlebt haben, ist kein Vergleich mit dem, was nun geschah –
Im Grab standen plötzlich vor uns zwei leuchtend weiß gekleidete Männer – Männer in Hochzeitsgewand!
Das müssen Engel gewesen sein, Gottes Botschafter!
Göttliche Erscheinung im Grab!

Uns wurden die Knie weich.
Doch da sprachen sie uns zu:
Fürchtet euch nicht,
geht getrost von hier weg.
Sucht Jesus nicht bei den Toten!
Sucht ihn bei den Lebendigen.

Wir haben zuerst überhaupt nicht begriffen, was die da gesagt haben, wir konnten nur stammelnd fragen:
„Wisst ihr vielleicht, wo man Jesus nun hingelegt hat?“

Und dann kam da noch einer, wie ich dachte, der Friedhofsgärtner.
Ich ging auf ihn, und fragte ihn: Wo hat man Jesus jetzt hingelegt?
Er schaut mich nur an –
Und sagt schließlich:
„Maria!“
Dieses Maria, das ich so oft aus seinem Mund gehört habe – und –„

Maria Magdalena packte Maria aus Bethanien, richte sich mit ihr auf, und schüttelte sie sanft, während sie berichtete:
„ER war es, er ist es!!! Gott war nicht weg, Gott war mit ihm, am Kreuz, im Tod, im Grab, und so, wie Gott ihm einst das Leben im Mutterleib schenkte, hat Gott es ihm wieder geschenkt in der Mutter Erde.

Ich hätte ihn umarmen können, doch er verbot, dass wir ihn anfassen. Gott hat ihn zu seinesgleichen gemacht.
Jesus lebt wie Gott im Himmel, und in ihm lebt Gott auf Erden.
Er lebt unfassbar, unsichtbar, aber dir und mir nahe, wie das Leben einem nur nahe sein kann.
Darum hat er sich uns noch einmal gezeigt: Damit wir dir und allen anderen bezeugen, was da am Kreuz und dann im Grab wirklich los war und in Zukunft überhaupt los ist:
Er lebt – und wir folgen ihm nach in dieses Leben!!!

Als wir, wieder zuhause, dies den anderen erzählten, musste ich auch an dich denken.
Darum bin ich hier her gekommen.
Ich glaube aber, ER war schon bei dir, hat dich nie verlassen – hättest du sonst dieses Fläschchen fest gehalten bis jetzt? Er hat diene Tränen mitgeweint, deine Gefühle von Schmerz und Schuld mitgetragen, und er möchte wieder mit dir lachen!
Darum glaube ich, dass deinem Fläschchen noch etwas fehlt. Du hast den Inhalt ihm geschenkt, und er schenkt dir nun dies…“

Maria Magdalena nahm das Kreuz und steckte es in den Hals des Fläschchens. Dann nahm sie die Hände der Maria aus Bethanien und legte sie um das Fläschchen mit dem Kreuz.
„Nimm beides, dein Zeichen der Liebe – und das leere Kreuz als Zeichen seiner Liebe. Nimm es als Zeichen deiner ganz persönlichen Lebenshoffnung, dass er mit uns lebt über jedes Ende hinaus.“

Versonnen streichelte Maria aus Bethanien das Holzkreuz. Dann löste sie sich aus der Umarmung mit Maria Magdalena,
sie fühlte sich aufgerichtet, eine kraftvolle Munterkeit durchströmte sie mit Leib und Seele, wie der Klang einer großen Glocke erklang in ihr ein Grundton, immer mächtiger, immer heller, mit immer fröhlicheren Obertönen:
Jesus lebt,
Gott hat ihn auferweckt,
er denkt an mich,
er nimmt mir alle Trauer ab,
alle Zweifel münden in Hoffnung, Freude, Leben…

Sie ging beschwingt zu ihrer Schlafstelle, stellte das Fläschchen mit dem Kreuz am Kopfende ab, drehte sich und – wieso leuchtete alles in ihrem Haus?
Ach, durch die geöffnete Tür schickte die Morgensonne ihre wärmenden Strahlen in jeden Winkel.
Maria aus Bethanien schritt zur Tür hinaus und kam neben Maria Magdalena zur Ruhe.
Maria Magdalena hob ihren Arm und deutete versonnen in Richtung Jerusalem, als ob sie das Kreuz, das leere Grab jenseits der Berge sehen könnte.
Maria aus Bethanien aber schaute auf das frische Grün der Berghänge. Im Frühsonnenlicht funkelten die Tautropfen,
wie Tränen einer vergangenen Nacht,
wie das perlend-sorgenbefreite Lachen überglücklicher Menschen.
Und beide begannen zu singen…

Morgenspaziergangsgedanken am Karsamstag 2020

„Höllenfahrt“ Christi, Johannes 14,6 und ein exclusivistischens Verständnis des Christentums aufgrund der Lektüre von Miroslav wolf: Zusammen Wachsen. Globalisierung braucht Religion. Gütersloh 2017

Wolf reflektiert u.a., inwiefern ein gemäßigtes exklusivistisches Verständnis (das ca. 60% aller Christen weltweit haben) nicht aus sich heraus eine pluralistische Neutralität demokratischer Regierungsformen erfordern.
Exklusivistisch: Das Christentum ist (wie alle Weltreligionen für sich) überzeugt, die wahre Weltdeutung anzubieten und zu befolgen (so mal ganz kurz und verkürzt).
Biblische Belegstelle wäre u.a. Jesu Wort aus dem Johannesevangelium 14,6:
„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“
Das kann man radikal interpretieren, wie z.B. jene, die den sogenannten unechten Markusschluss verfassten (Mk.16, 9 – 20, ein Konglomerat aus den anderen Evangelienschlüssen mit Ergänzungen aus späteren Traditionen). Da heißt es in V.16: wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.
Wer dermaßen radikal denkt: Nur glaubende Christen kommen in den Himmel und leben wahrhaft recht auf Erden, wird sich schwer tun mit der Pluralität von Weltanschauungen. Und im Grunde eine christliche Theokratie bevorzugen. Also Antidemokratisch eingestellt sein. Denn alle anderen sind ja des Teufels und gehen zum Teufel und bringen teuflisches Unheil, und damit wäre Covid 19, wenn nicht Strafe Gottes, so doch satanisches Wirken, das alle befällt, die des Teufels sind und so weiter…
Weniger radikal gedacht, etwa wie Paulus im Römerbrief (der so auch das Verhältnis Christentum – Judentum bedenkt): Am Ende der Zeiten stimmt der Satz wieder: Alle werden Jesus als Christus anerkennen und damit Gott als wirklichen Herrn des Lebens. Bis dahin haben Christen schlicht vorzuleben, wovon sie überzeugt sind und so dafür zu werben.
Pls. lebte übrigens auch in einer sehr pluralistischen Umgebung.

Und schließlich hilft: Genau lesen.
„Niemand kommt zu Gott denn durch mich“: Jesus sagt hier NICHT: Nur wer mir glaubt, wird Gott finden und damit das Leben.
Er beschreibt seine Rolle – auch unabhängig von ihm Glaubenden.

Der Karsamstag reflektiert in der Tradition: Was machte Jesus eigentlich zwischen Kreuzestod und Auferweckung?
Er fuhr zur Hölle, um die Fesseln des Todes für alle Menschen zu sprengen („Adam“ steht für „Menschheit“).
D.h., durch ihn finden alle ins Leben – ob nun im Leben schon Christen oder anderer Weltsicht. Auch Philosophen wie Sokrates etc. gehören dazu!
So diese Tradition.

Dann die andere Tradition, ein Zentrum der Theologie: Jesus ist nicht einfach Mensch, er ist auch Gott. Der Gott, der „mit uns existiert“ – der Mitseiende. Auch da, wo scheinbar Gottlosigkeit ist – in Jesu Verlassenheit am Kreuz, im Tod und überhaupt.
Dann würde Jesu Satz letzten Endes bedeuten:
Niemand findet zu Gott außer durch Gott. Gott selbst muss sich nicht nur suchen, sondern auch finden lassen. Wie auch immer, wann auch immer. Insofern bedeuten „Weg, Wahrheit, Leben“ das, was der Evangelist Matthäus in Jesu Rede vom Endgereicht reflektiert „Was ihr einem von den Ärmsten getan habt, das habt ihr mir getan“ – Es gibt also einen Weg, zu Gott zu finden, der geht über den Umweg der nicht berechnenden Mitmenschlichkeit und der Freiheit, Verantwortung für das Wohl gerade der schwächsten Glieder in einer Gesellschaft / Menschheit zu übernehmen. Und zwar, weil es Menschen sind (und inzwischen kommt auch der Rest der Kreatur in den Blick).

Nehme ich diese Fäden auf und blicke auf Joh.14,6: Dann heißt das: Gott findet sich exklusiv in Jesus wieder, aber ebenso über all da, wo Menschen aus ihrer Weltanschauung heraus um das Wohl aller besorgt sind. Wer also wie zu Gott findet, ist Chefsache.
Wir als Christen sind also keine besseren Menschen – wir wissen lediglich für uns (oder sollten es wissen), warum wir uns an Jesus orientieren bzw. ihm in dieser Welt nachfolgen.
Insofern müssen wir damit rechnen, dass er uns als Weg, Wahrheit, Leben auch in anderen begegnet. Und also ist es sogar gut, wenn es Pluralität von Weltanschauungen gibt und es ist aus unserer Überzeugung heraus sogar geboten, dass ein Land, eine Staatengemeinschaft, am besten alle Welt weltanschaulich neutral demokratisch diese Pluralität pflegt.
Und wir haben da alle Möglichkeiten, öffentlich zu dem zu stehen, warum wir etwas tun, wofür wir eintreten, wofür wir werben (also z.B. dafür, dass Leute, die möglicherweise zu einer Risikogruppe gehören, nicht stigmatisiert werden, sondern im Gegenteil besonders achtsam zu würdigende Personen sind).

D.h., Gottes Exklusivität in Jesus rechtfertigt meine Überzeugung, mit meiner Zugehörigkeit zum Christentum auf der richtigen Fährte zu sein – und zugleich bin ich das nur, weil andere Weltanschauungen (aus ihrer Sicht sowieso) auch auf der richtigen Fährte sind – denn es ist letztlich Gottes Weg. Und wer bin, ich dass ich Gott seinen Weg (auch als Weg des Auferstanden in der Welt, vermutlich ein weg inmitten der Höllen dieser Erde) vorschreiben könnte. Kann froh sein, dass er mich Jesus nachfolgen lässt (bei aller Unvollkommenheit).

Soweit dieser Gedankengang, alles andere als fertig …

Gründonnerstag ohne Abendmahl, dafür mit Jesus in der Einsamkeit des nächtlichen Ringens mit Gott.

Kein Abendmahl! Und das am Gründonnerstag.
Der Tag, der ganz besonders der Erinnerung gilt: Jesus hat das Abendmahl als Zeichen seiner Gegenwart im Leben und im Sterben gestiftet.

So bleibt diesmal nur, die Geschichte selbst zu lesen.
Etwa so, wie der Apostel Paulus im 1. Brief an die Korinther daran erinnert, ich zitiere aus Kapitel 11 die Verse 23 bis 26:
Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und sprach: Das ist mein Leib für euch; das tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr von diesem Brot esst und von dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.

Bekannte Worte.
Immer, wenn Abendmahl gefeiert wird, feiern wir Gründonnerstag, Karfreitag – und Ostern. Und die Zukunft Gottes mit aller Welt.

An manchen Orten wird (dieses Jahr nicht) das sogenannte Sedermahl gefeiert.
Mit mir nicht.
Das Passahmahl, das an die Befreiung Israels aus der Sklaverei in Ägypten erinnert, gehört den jüdischen Schwestern und Brüdern. Es ist ihre Geschichte mit Gott.
Doch dieses Fest erhellt, was für uns beim Abendmahl geschieht.
Es wird vor Gott, dem Ewigen gefeiert.
In Gottes Gegenwart wird alles gegenwärtig, was Gott rettend, vergebend, erlösend wirkte, wirkt und wirken wird.
Es ist jetzt da, auch wenn es eigentlich einmal war oder hoffentlich einmal soweit sein wird.

So auch das Abendmahl. Der alte Streit, ob Brot und Kelch wirklich Jesu Leib und Blut sind oder nur an Jesu Brot und Leben teilen mit den Seinen und seine Lebenshingabe für alle Welt erinnert, ist dann unerheblich.
Nicht wir vergegenwärtigen uns diese heilsame Lebensgeschichte,
Gott vergegenwärtigt uns, was hier geschah.
Darum geschieht es, wenn wir Abendmahl feiern. Und was wir da feiern.
Und weil Gott leibfreundlich ist und uns ganz und gar liebt, passiert hier nicht nur „seelische Erbauung“, sondern leibhaftiges Essen und Trinken.
Wie ja auch im Judentum bei der Passahfeier.
Oder, analog, wie bei der Aufführung eines Musikstückes: Der Komponist mag schon lange tot sein, die Uraufführung längst vorbei. Doch wenn eine Person oder eine Gruppe das Musikstück zum Wiedererklingen bringt, spielt es keine Rolle mehr, wie alt das Stück ist. Es ist jetzt Wirklichkeit. Und im Stück lebt der Komponist mit seiner Kreativität – und zwar zusammen mit den Musikern und den Hörer*innen.
Für den Fall einer gelungenen Aufführung. Im anderen Fall erlebt man unheilvolle Grausamkeit.
Darauf wies übrigens Paulus ebenfalls hin, weswegen er ja seine Abendmahlsworte überlieferte und damit an das Handeln Jesu erinnerte:
Wenn in einer Gemeinde und erst recht beim Abendmahl Menschen durch die anderen Gemeindemitglieder das Gefühl bekommen, irgendwie ausgegrenzt zu sein wegen ihrer sozialen Herkunft, ihres Geschlechtes, ihres anderweitigen Herkommens u.s.w., dann wird Jesus selbst verunglimpft, verraten, mit Füßen getreten. Und aus dem Heiligen Abendmahl als Wohltat Gottes wird unseliges Saufen und Fressen – tödliches Gift für die, die bedacht oder unbedacht ausgrenzen. D.h., ob ein Abendmahl richtig gefeiert wird, ist keine (wenigstens nicht nur eine) liturgische Frage. Die ganze Gemeinde ist gefordert, ob sie sich einlässt auf Gottes Wille zu Solidarität, Inklusion, Integration aller in Gottes Reich.

Übrigens: Es ist nicht ganz ausgemacht, ob Jesus wirklich mit den seinen beim Passahmahl saß und dann plötzlich den Ritus radikal änderte. Oder ob er nicht einfach zum letzten Mal ein Mahl feierte, wie er auch sonst mit Menschen zusammen aß und trank, also Tischgemeinschaft hatte. Und so ein Zeichen für die Menschenfreundlichkeit Gottes setze.
Die Evangelien legen das Passahmahl nahe, Paulus jedoch nicht. Und insgesamt passt es nicht so ganz in die innere Logik dieses Festes…

Ich denke also diesmal „Abendmahlabstinent“ den Worten nach. „Anamnese“ werden sie genannt. Das gleiche Wort, wie wenn ein guter Arzt zum ersten Mal einen Patienten untersucht: Mit der Anamnese beginnt der Heilungsprozess (über weitere Untersuchung, Diagnose und Therapievorschlag)

Und wieder ärgert mich die Bibelübersetzung, aber auch die traditionelle Wortwahl der sogenannten Einsetzungsworte, so, wie sie Paulus zitiert.
„verraten“ – das steht nicht im Original. Da steht „ausgeliefert“.
Ich erinnere: Wir tragen spätestens nach dem Holocaust eine christliche Verantwortung für den Respekt vor unseren jüdischen Schwestern und Brüder. „Verraten“ lässt an Judas denken – und Judas klingt wie „Jude“.
Dieses „verraten“ hat über Jahrhunderte dazu geführt, Juden pauschal den Mord an Jesus vorzuwerfen, als hätten sie ihn begangen.
Was völliger Quatsch ist, lebensgefährliche fake News, mitnichten „gute Nachricht“, also „Evangelium“.
„Ausgeliefert“ trifft es besser: Denn alle Jünger haben Jesus dann im Stich gelassen.
Und mit eben diesen hat er das Brot geteilt und den einen Kelch, besser „Becher“.
Das ist das Evangelium und gerade das Abendmahl verbietet jede Verfolgung Andersgläubiger.

Brot teilen – Jesus sagt: Das ist mein Leib. Gemeint ist sein Leben. Leib und Leben, wie er es einsetzte lebenslang. In Wort und Tat, Gebet und Heilung. Das nehmen wir auf – um ihm dann nachfolgen zu können, mit guten, heilsamen Worten für andere, mit entsprechenden Taten, mit unseren Gebeten, mit allem, was Heilsames erforscht und angewendet werden kann.

Und dann – eben nicht „Blut trinken“.
Sondern aus einem Becher.
Der erinnert an Psalm 23: du schenkst mir voll ein, Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang.
Ein Becher für alle –
Es gab die Sitte, dass bei jüdischen Mählern alle einen Becher hatten. Doch ein gefüllter Becher stand zusätzlich auf dem Tisch. Der war für den Profeten Elia. Elia war ja seinerzeit entrückt worden. Doch er sollte wieder kommen. Und wenn er wiederkommt, kommt auch endlich der Messias, und alles wird gut auf Erden.
Es ist wie in manchen frommen süddeutschen Haushalten, wenn ein Stuhl am Tisch freibleibt – für Jesus.
Diesen Becher nimmt Jesus – und reicht ihn weiter.
Der Becher erinnert auch an den Becher des Leides.
Alle trinken daraus – sie teilen Jesu (= Gottes) Barmherzigkeit und sie teilen sein Leid mit der Welt. In der Welt.
Im Becher ist – Wein. Wein wiederum steht für Lebensfreude, für einen Frieden, wie er in des Propheten Jesaja Buch verheißen wird: Jeder wird in Frieden die Frucht seines Weinstocks genießen können. Somit steht der Inhalt für eine Zukunft, die für alle lebenswert ist.
Und darum feiernswert.
Es wäre der „neue Bund“, heißt es.

Jahrhunderte lang wurde „geglaubt“, ich meine: „geirrglaubt“ mit schlimmsten Folgen, dieser Neue Bund hätte die anderen, älteren Bünde erledigt. Kirche statt Israel.
Wer lesen kann, ist auch da klar im Vorteil, und lesen meint: In der Bibel hingucken, was da wirklich steht – und was nicht.
Tatsächlich kann man die Bibel als eine Geschichte der „Verbündungen“ Gottes lesen.
Bei „Bund“ schwingt das gleiche wie bei „Ehebund“ mit: es hat mit liebender Zuwendung zu tun. Gott verliebt sich du geht einen Bund ein. Und hofft auf Gegenliebe. Und jeder, der in einer Ehe lebt, weiß: Man sollte gewisse Regeln des Zusammenlebens beachten.
Der erste Bund: Der steht gleich am Anfang der Bibel: Gott verbündet sich mit der Naturgeschichte dieser Welt.
Nach der Sintflutgeschichte wird dieser Bund erneuert und in seiner Gültigkeit bestätigt. Der Bund Gottes mit Abraham konzentriert diese globale Liebe auf diese Person – was das andere (und all die anderen Personen) eben nicht abwertet. Als ich mit meiner Frau einen Bund fürs Leben schloss, ging das nicht gegen die restlichen 4,5 Milliarden Frauen.
Und so weiter – der Bund Gottes mit seinem Volk am Berg Sinai wurde vor dem Einzug ins verheißene Land erneuert, dann später wieder und immer wieder. Bis es beim Profeten Jeremia heißt: Es wird einmal einen Bund Gottes geben, der nie mehr erneuert werden muss. Weil er allen Menschen in Fleisch und Blut übergegangen ist und alle Herzen davon erfüllt sind.
Und nun nimmt Jesus uns in diese Bundesgeschichte mit hinein. Das ist das neue. Nicht gegen das „alte“. Sondern eine Neuausrichtung, die den „alten“ Bund Gottes mit seinem Volk bestätigt.
Der Bund im Blut.
Blut steht für Leben. Leben gehört Gott. Weswegen Juden jeglicher Blutgenuss verboten ist. Es wäre ein sich Vergreifen an dem, was Gott heilig ist.
Blut steht für Jesu Leben. Für seine Hingabe bis zum Tod am Kreuz.
Kreuz: aus unheiligem Tötungsinstrument der Römer wird ein Zeichen des Heiles. Das kann nur Gott selbst wirken. Darum „Heilig“.
Gott hat da seinen Bund neu geschlossen. Aus dem Bild eines schrecklichen Endes das Zeichen seiner immer neuen Liebe geschaffen.
„Blut“: Es ist Rot. Leben, Liebe, neues Leben.
Wir trinken kein Blut.
Wir werden in dieses Handeln Gottes mit hinein genommen. Und es kommt in uns hinein. Damit es unsere Herzenssache werde.
Da war (und in der Feier: „ist jetzt“) Jesu Tod. Einmaliges Geschehen, wie Jesus selbst einmalig ist. Gott hat seinen Bund geschlossen, seinen Lebensvertrag für alle Welt aufgesetzt und besiegelt.
Wenn wir Abendmahl feiern, Brot teilen, aus einem Becher trinken, dann ratifizieren wir den Vertrag.
Es ist wie mit den Menschenrechten.
Die wurden einst von der UNO „beschlossen“. Sie gelten. Aber die einzelnen Länder müssen sie ratifizieren und für sich annehmen. Das haben die meisten ja auch getan.

Nicht bei Paulus, aber in den Evangelien und daher in den immer zitierten Einsetzungsworten steht: Für alle Welt zur Vergebung der Sünden.
Wenn Sünde das ist, was Gemeinschaft zerstört (unter Menschen, zwischen Mensch und Gott), dann heißt „Vergebung“: Gott schafft Lebensgemeinschaft neu. Es ist sozusagen ein göttlicher Schöpfungsakt.
Wenn wir den Becher teilen, lassen wir Gott dies an uns, in uns und unter uns wirken. An uns liegt es, es auch wirksam werden zu lassen. Deswegen wird beim Abendmahl oft auch der Friedensgruß ausgetauscht.
Den „Friede“ meint eben dies: Was war, ist vergeben. Was gilt, stiftenden die Liebenden. Und mittendrin Gott.

Insofern verkünden wir also Jesu Tod – als Gottes Lebenszeichen. Im Lichte von Ostern. In Erwartung, dass Gott selbst einmal die Welt „runderneuert“ und wir es erleben, auch wenn wir sterben.

Doch diese Welt ist noch nicht soweit. Und so nimmt uns dieser abendmahlabstinente Gründonnerstag mit in das Geschehen, was nun folgte, ich zitiere aus dem Lukasevangelium, Kapitel 22:

Und Jesus ging (nach dem Abendmahl) nach seiner Gewohnheit hinaus an den Ölberg. Es folgten ihm aber auch die Jünger.
Und als er dahin kam, sprach er zu ihnen: Betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt!
Und er riss sich von ihnen los, etwa einen Steinwurf weit, und kniete nieder, betete und sprach: Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!
Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn.

Jesus hat noch einmal um sein Leben mit Gott gerungen. Muss es wirklich soweit kommen? Oder geht es nicht auch anders?
Blut und Wasser habe er geschwitzt beim Beten, heißt es an anderer Stelle.
Und ich denke an Situationen, wo ich mit Gott zu ringen habe.
Ich bin nicht allein, auch wenn ich allein bin.
Jedes solche Ringen verschmilzt mit Jesu Gebet in nächtlicher Einsamkeit.
Auch da, wo ich hilflos am Bett eines todkranken stehe und nur noch beten kann.
Oder mir sonstige Bilder einer völlig unerlösten Welt vor Augen stehen.
Was ich mir dann wünsche?
Das, was ich Ihnen allen wünsche:
Einen Engel, der dann die Kraft gibt, „gegen Gott an Gott festzuhalten“, wie es jemand mal sagte.
Und so etwas getroster in die Nacht zu gehen,
so, wie es einst Jesus tat. Als er ausgeliefert wurde.