Maria & Maria – Predigt zur Osternacht 2020 zu Joh.20,11-18

Liebe Gemeinde,
Gnade sei mit euch von Gott,
durch Christus, im heiligen Geist.

Maria,
so erzählt der Evangelist Johannes von der Osternacht,
Maria stand draußen vor dem Grab Jesu und weinte.
Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten. Und die sprachen zu ihr:
„Frau, was weinst du?“
Sie spricht zu ihnen:
„Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“
Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist.
Spricht Jesus zu ihr:
„Frau, was weinst du? Wen suchst du?“
Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm:
„Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.“
Spricht Jesus zu ihr:
„Maria!“
Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: „Rabbuni!“ (das heißt: Meister!)
Spricht Jesus zu ihr:
„Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“
Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: „Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.“

Auch diese Nacht hatte sie keine Ruhe gefunden.
Wie in den durchweinten Nächten zuvor hielt sie in ihren Händen jenes kleine Glasfläschchen. Es duftete noch immer zart nach dem Parfum, mit dem Maria vor wenigen Tagen ihren Jesus gesalbt hatte.
Daran musste sie nun immer und immer wieder denken:
Wie hatte sie sich gefreut, ihm etwas Gutes zu tun mit ihrem kostbaren Parfum! Und er hatte sich ebenfalls gefreut.
Doch dann musste sie erfahren: Man hat ihn gekreuzigt.
O Gott, warum? Warum ER???
Hatte sie ihn nicht gesalbt so, wie man einen Toten salbt?
Hatte sie ihn damit nicht zu Tode gesalbt?
Ihn bestärkt, nach Jerusalem zu gehen, obwohl er wusste, welche Lebensgefahr auf ihn lauert?
Maria fühlte sich schuldig, hätte am liebsten das Fläschchen auf dem Boden zertreten – aber war es nicht die einzige Erinnerung, die sie an ihren Jesus hatte?

In der noch sehr dämmrigen Morgenfrühe klopfte es zärtlich – leise und zugleich fest entschlossen an ihre Tür.
Maria aus Bethanien schreckte hoch, richtete sich mühsam auf – konnte man sie denn nicht allein lassen, ihre Trauer respektieren, ihren Schmerz?
Sie wollte alleine sein und alleine bleiben!

„Wer da?“ rief Maria mit rauer, unwirscher Stimme.

Eine Frauenstimme klang durch die verriegelte Tür:
„Ich bin es, Maria Magdalena, die, die mit Jesus hier bei euch in Bethanien war.“

Maria aus Bethanien erinnerte sich, schleppte sich zur Tür, schob, halb neugierig, halb widerwillig, den Riegel zurück und öffnete sie.
Im Dämmerlicht sah sie Maria Magdalena vor sich stehen, auch sie trug ein Trauergewand.
Aber deren Gesicht passte gar nicht dazu – diese Frau strahlte, als ob sie selber die Morgensonne sei!
Schnell wollte Maria aus Bethanien die Tür wieder zuschlagen – und bat nach einem Moment des Zögerns diese andere Maria dann doch zu sich herein.

Im Halbdunkel standen sie sich eine Weile gegenüber.
Schließlich deutete Maria Magdalena auf das leere Salbölfläschchen, das Maria aus Bethanien immer noch in ihrer Hand hielt:
„Es ist das Fläschchen, stimmt’s?“

Maria aus Bethanien nickte. Wie im Traum, weit weg, sah sie, dass Maria Magdalena einen kleinen, hölzernen Gegenstand ihr in die andere Hand drückte und hörte deren Worte:
„Nimm dies als wichtige Erinnerung an Jesus, ich habe es unterwegs für dich aus einem Stück Holz von den Olivenbäumen Gethsemanes geschnitzt.“

Maria aus Bethanien schaute auf das was Maria Magdalena ihr mitgebracht hatte.
Schlagartig war alles träumerische verschwunden, mit einem Schrei ließ sie entsetzt den Gegenstand fallen und keuchte:
„Ein Kreuz, das Kreuz, sein Kreuz..! Wie kannst du mir…?
Ich weiß, was ich getan habe, du brauchst es mir gar nicht vorwerfen, warum bist du eigentlich gekommen, … aber vielleicht hast du recht, ich habe ja schließlich….“
Weinend brach sie zusammen.

Maria von Magdala kauerte sich ruhig neben sie, hob das Kreuz vom Boden auf und nahm Maria von Bethanien in die Arme.
Leise sprach sie:
„Weißt du, ich verstehe dich nur zu gut, noch vorgestern weinte ich ebenso.
Aber jetzt möchte ich dir, gerade dir sagen, was ich und meine Freundinnen erlebt haben“.

Maria wartete geduldig, bis sich das Schluchzen gelegt hatte. Sie setzte sich neben Maria aus Bethanien und erzählte leise und eindringlich:
„Was du getan hast, war das Beste, was ein Mensch für Jesus tun konnte. Du hast ihm ein Zeichen der Liebe mit auf den Weg gegeben. Das treibt keinen Menschen in den Tod, im Gegenteil: So ein Zeichen stärkt und hilft einem Menschen erst recht dann, wenn er seinen letzten Weg gehen muss.
Du hast Jesus wirklich geholfen.
Und das wird er nie vergessen, glaube es mir,
genauso, wie er nie vergisst, dass wir bei ihm blieben, auch als er tot war, als wir ihn bestattet haben.“

Maria aus Bethanien hatte ihren Kopf erhoben bei diesen Worten, so, als lauschte sie jedem Wort nach…
„Wie, nie vergessen? Ein Toter vergisst doch alles, der Tod löscht jede Erinnerung…“
Hatte sie das nur gedacht oder laut gesagt?

Maria Magdalene sprach nach einer Pause weiter:
„ Ach ja, es war wirklich schrecklich… hilflos mussten wir zusehen, wie er litt,
Was hatte denn Jesus verbrochen?
Wo war da Gott, wo???“

Marias Stimme war unwillkürlich laut geworden, ihre Frage erfüllte den ganzen Raum.
Und wieder leise fuhr sie fort:
„Wir waren am Ende.
Und dann hauchte er sein Leben aus… aber weißt du, wie? Er hauchte, und es klang wie ein Ruf über alle Welt: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist, es ist vollbracht!“
Als endlich alle fort waren, standen wir immer noch dort auf Golgatha, und, wie soll ich es sagen, da war irgendwie –
Friede. Ja, Friede.
Es war so anders als sonst, wenn Menschen Menschen vernichten…
Wir holten Jesus vom Kreuz, wickelten ihn in ein neues Leichentuch, trugen ihn zum Friedhof, legten ihn in ein Felsengrab. Und schließlich wurde der Rollstein vor die Grabhöhle gerollt.
Ende.

Nein, nicht zu Ende.
Es klingt für dich vielleicht sehr seltsam, aber für uns war es nicht zu Ende. In uns hatte ein ganz tiefer Friede Platz genommen…

Jedenfalls nahmen wir uns vor, unseren Jesus nach dem Sabbath gleich zu besuchen und ihn zu salben, so, wie du: Liebevoll, zärtlich, wie einen, der leben soll…
Was dann geschah, hätten wir uns aber nie träumen lassen.
Stell dir vor,“
Marias Stimme wurde regelrecht munter,
„stell dir vor: es war so dämmrig wie vorhin, als wir gestern Morgen zum Friedhof gingen.
Als wir am Grab ankamen, packte uns tiefer Schreck.
Denn der Stein war beiseite gerollt, und im Grab – Jesu Leiche war weg!
Entsetzlich, man hat uns Jesu Leichnam genommen!
Doch dann, ich sage dir, alles, was wir bis dahin erlebt haben, ist kein Vergleich mit dem, was nun geschah –
Im Grab standen plötzlich vor uns zwei leuchtend weiß gekleidete Männer – Männer in Hochzeitsgewand!
Das müssen Engel gewesen sein, Gottes Botschafter!
Göttliche Erscheinung im Grab!

Uns wurden die Knie weich.
Doch da sprachen sie uns zu:
Fürchtet euch nicht,
geht getrost von hier weg.
Sucht Jesus nicht bei den Toten!
Sucht ihn bei den Lebendigen.

Wir haben zuerst überhaupt nicht begriffen, was die da gesagt haben, wir konnten nur stammelnd fragen:
„Wisst ihr vielleicht, wo man Jesus nun hingelegt hat?“

Und dann kam da noch einer, wie ich dachte, der Friedhofsgärtner.
Ich ging auf ihn, und fragte ihn: Wo hat man Jesus jetzt hingelegt?
Er schaut mich nur an –
Und sagt schließlich:
„Maria!“
Dieses Maria, das ich so oft aus seinem Mund gehört habe – und –„

Maria Magdalena packte Maria aus Bethanien, richte sich mit ihr auf, und schüttelte sie sanft, während sie berichtete:
„ER war es, er ist es!!! Gott war nicht weg, Gott war mit ihm, am Kreuz, im Tod, im Grab, und so, wie Gott ihm einst das Leben im Mutterleib schenkte, hat Gott es ihm wieder geschenkt in der Mutter Erde.

Ich hätte ihn umarmen können, doch er verbot, dass wir ihn anfassen. Gott hat ihn zu seinesgleichen gemacht.
Jesus lebt wie Gott im Himmel, und in ihm lebt Gott auf Erden.
Er lebt unfassbar, unsichtbar, aber dir und mir nahe, wie das Leben einem nur nahe sein kann.
Darum hat er sich uns noch einmal gezeigt: Damit wir dir und allen anderen bezeugen, was da am Kreuz und dann im Grab wirklich los war und in Zukunft überhaupt los ist:
Er lebt – und wir folgen ihm nach in dieses Leben!!!

Als wir, wieder zuhause, dies den anderen erzählten, musste ich auch an dich denken.
Darum bin ich hier her gekommen.
Ich glaube aber, ER war schon bei dir, hat dich nie verlassen – hättest du sonst dieses Fläschchen fest gehalten bis jetzt? Er hat diene Tränen mitgeweint, deine Gefühle von Schmerz und Schuld mitgetragen, und er möchte wieder mit dir lachen!
Darum glaube ich, dass deinem Fläschchen noch etwas fehlt. Du hast den Inhalt ihm geschenkt, und er schenkt dir nun dies…“

Maria Magdalena nahm das Kreuz und steckte es in den Hals des Fläschchens. Dann nahm sie die Hände der Maria aus Bethanien und legte sie um das Fläschchen mit dem Kreuz.
„Nimm beides, dein Zeichen der Liebe – und das leere Kreuz als Zeichen seiner Liebe. Nimm es als Zeichen deiner ganz persönlichen Lebenshoffnung, dass er mit uns lebt über jedes Ende hinaus.“

Versonnen streichelte Maria aus Bethanien das Holzkreuz. Dann löste sie sich aus der Umarmung mit Maria Magdalena,
sie fühlte sich aufgerichtet, eine kraftvolle Munterkeit durchströmte sie mit Leib und Seele, wie der Klang einer großen Glocke erklang in ihr ein Grundton, immer mächtiger, immer heller, mit immer fröhlicheren Obertönen:
Jesus lebt,
Gott hat ihn auferweckt,
er denkt an mich,
er nimmt mir alle Trauer ab,
alle Zweifel münden in Hoffnung, Freude, Leben…

Sie ging beschwingt zu ihrer Schlafstelle, stellte das Fläschchen mit dem Kreuz am Kopfende ab, drehte sich und – wieso leuchtete alles in ihrem Haus?
Ach, durch die geöffnete Tür schickte die Morgensonne ihre wärmenden Strahlen in jeden Winkel.
Maria aus Bethanien schritt zur Tür hinaus und kam neben Maria Magdalena zur Ruhe.
Maria Magdalena hob ihren Arm und deutete versonnen in Richtung Jerusalem, als ob sie das Kreuz, das leere Grab jenseits der Berge sehen könnte.
Maria aus Bethanien aber schaute auf das frische Grün der Berghänge. Im Frühsonnenlicht funkelten die Tautropfen,
wie Tränen einer vergangenen Nacht,
wie das perlend-sorgenbefreite Lachen überglücklicher Menschen.
Und beide begannen zu singen…