Sieben und mehr erste Osterworte Jesu – 2. Station: „Rühr mich nicht an“

Sieben und mehr erste Osterworte Jesu
Ein Auferstehungsweg in der 2. Woche nach Ostern
bzw. in der orthodoxen Osterwoche 2020


2. Station: „Rühr mich nicht an“

Psalmgebet: Aus Psalm 118
Danket dem HERRN; denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.
Der HERR ist meine Macht und mein Psalm
und ist mein Heil.
Man singt mit Freuden vom Sieg
in den Hütten der Gerechten:
Die Rechte des HERRN behält den Sieg!
Die Rechte des HERRN ist erhöht;
die Rechte des HERRN behält den Sieg!
Ich werde nicht sterben, sondern leben
und des HERRN Werke verkündigen.
Der HERR gibt mich dem Tode nicht preis.
Ich danke dir, dass du mich erhört hast
und hast mir geholfen.
Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
ist zum Eckstein geworden.
Das ist vom HERRN geschehen
und ist ein Wunder vor unsern Augen.
Dies ist der Tag, den der HERR macht;
lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein.
O HERR, hilf!
O HERR, lass wohlgelingen!
Du bist mein Gott, und ich danke dir;
mein Gott, ich will dich preisen.

Biblische Geschichte aus Johannes 20:
Da wandte Maria sich um und rief: »Rabbuni!« (Das bedeutet »Meister«)
Jesus sagte zu ihr: »Halte mich nicht fest! Ich bin noch nicht zum Vater in den Himmel zurückgekehrt. Geh zu meinen Brüdern und sag ihnen, dass ich zu ihm zurückkehre – zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.«
Da ging Maria aus Magdala zu den Jüngern zurück. »Ich habe den Herrn gesehen!«, verkündete sie und erzählte ihnen, was er zu ihr gesagt hatte.

Zur Besinnung:
„Rühre mich nicht an!“ – in diesen Zeiten erhält dieses Wort Jesu noch einmal einen anderen, besonderen Klang. Es bringt mich auf die Spur, im auferlegten Kontaktverbot eine Chance zu entdecken.
In der Geschichte will Maria Jesus wieder anfassen, begreifen, ihn umarmen, wieder seine Nähe spüren, seinen Duft wahrnehmen. Ihn so haben, wie es einmal war.
Jesus entzieht sich ihr mit dem Hinweis, dass er ebenfalls noch einen Weg vor sich hat. Einen Weg, der zunächst wegführt von den Seinen, damit er ihnen neu begegnen kann. Ganz nah, ganz Gott, ganz überall und ganz und gar.
Maria Magdalena muss dafür befreit werden und soll, kann, darf die gleiche Erfahrung machen wie alle Christen bis heute: Jesus lässt sich wie Gott nicht festhalten, nicht festlegen auf ein Bild, eine bestimmte Erfahrung (die ihr recht zu ihrer Zeit an besonderem Ort wohl hatte).
Im gegenwärtigen Kontaktverbot beginnt die Auferstehung einer neuen Nähe. Maria wird davon getragen sein und sich auf den Weg machen, den anderen Ostern zu verkünden.
Jesus ist also nicht einfach der gute, vorbildliche Mensch, der er zu Lebzeiten zweifelsohne (auch) war. Jetzt wird eine neue Dimension beschritten: Der Weg Jesu vom jüdischen Messias zum Christus der Völker, zum Heiland der Welt.
Diese Ostergeschichte signalisiert:
Auch wir müssen einander immer wieder loslassen. Wir können uns und keinen anderen festlegen auf „wie es bisher war“.
Spätestens nicht mehr bei Beerdigungen.
Wir lassen einen Menschen endgültig los und lassen ihn damit seinen wEg ganz zu Gott gehen. Doch es ist eine wunderbare Erfahrung, die Menschen dabei gemacht haben: Ein Verstorbener kommt dann auf einmal wieder nahe, nur anders, aber möglicherweise inniger als zuvor.
Auf der anderen Seite des Lebens steht die Geburt. Viele lassen ihre Kinder schon als Säuglinge taufen. Auch da wird ein Mensch ganz seinem Weg mit Gott anvertraut. Es wird losgelassen. Das Kind der Eltern wird Kind Gottes, vereinfacht ausgedrückt. Eltern lassen ihr Kind los, und damit darf das Kind sich als der Mensch entwickeln, den Gott besonders begabt hat. Das Kind, ein ganzer Mensch, ist nicht mehr mögliche Projektionsfläche für Wünsche und Vorstellungen der Eltern an das Leben, wie sie es gerne geführt hätten.
So ließe sich das ganze Leben von Station zu Station beschreiben: Immer wieder einander loslassen, sich freigeben, sich neu finden.
Auch wenn es turbulent zugeht, etwa in der Pubertät, oder wenn Umstände Distanz gebieten.
Manchmal gehe ich auch zu mir selbst auf Distanz. Ich habe da ja ein gewisses Selbstbild von mir und lege auch mich gerne fest auf das, was ich meine zu können oder noch mehr nicht zu können.
Dann ruft plötzlich etwas in mir „Rühr mich nicht an – ich bin auf dem Weg“. Ich betrachte mich gleichsam von außen. Vielleicht bin ich ja jetzt und in Zukunft gar nicht so, wie ich bisher meinte, zu sein? Welche Möglichkeiten tun sich auf, mir selbst neu nahe zu kommen, mit mir selbst neu in Berührung zu geraten?
Eine Übung dafür ist: Ich stelle mir vor, ein Engel – und manchmal Jesus selbst – erzählt mir, wie mein Tag gewesen ist, wie er mich erlebt hat und – was er mir mit auf den Weg gibt. Und manchmal brauche ich mir so etwas nicht vorzustellen, manchmal trifft mich eine Weisheit, ein Gedicht, ein Bibelwort und ich betrachte mich distanziert: Schau an, auch das steckt in dir. Vor allem aber: Du bist ja ganz – ganz geliebt und gehalten. Auch da, wo dir „Glaube“, gar „Osterglaube“ fremd ist.
Und diese österliche Lebensübung kann fortgesetzt werden. Ich betrachte etwa einen mir vertrauten Baum. Bisher sah ich vielleicht Blüten, Blätter, Äpfel, Schädlinge, und so weiter… Doch ich versuche, den Baum als Gegenüber wahrzunehmen, als etwas, was nicht mir gehört und was nicht so und so ist – sondern ganz da, ganz gegenüber. Ganz neu.
Warum so etwas üben? Weil es gut ist, auch so sogar einen Lebensgefährten von Zeit zu Zeit „loszulassen“, ihn „nicht zu berühren“, ihm zugestehen, seinen / ihren Weg mit Gott zu Gott zu gehen, wie auch immer das jeder für sich nennen mag. Und so, im Loslassen, verschwinden die kleinen Macken, die blauen Augen, alles das, was man so am Gefährten feststellt und worüber man ihn definiert. Auch Sätze wie „Damals, da hast du noch…“, „Damals, dahaben dir doch…“ werden losgelassen. Dafür ersteht Neugier auf: Wie wird es in Zukunft mit uns sein, wenn wir uns neu und wunderbar nahe kommen, DU und ICH?
Last, not least:
Ich lasse meine bisherigen Bilder von Gott und von Jesus los. Sie haben ihr Recht zu besonderer Zeit und an bestimmten Ort. Doch Jesus und durch ihn Gott geht seinen Weg. In die Welt. Dort werde ich ihm neu begegnen. Könnte allerdings sein, dass es ein alter kranker Mann in einem Flüchtlingslager ist, in dem ER neu nahekommt. Und dieser da ist dann auch gar kein Christ…
Könnte sein, könnte auch anders sein, könnte auch sein, dass er nahe kommt im Lächeln eines wildfremden Menschen, wenn ich dieser Zeit unterwegs bin. Mir ist tatsächlich noch nie so wie jetzt aufgefallen, wie viele Menschen einander zu lächeln können – so über die Distanz hinweg.
Und damit ganz nahe kommend.

Noch eine kleine Übung für Zuhause:
Stellen Sie, wenn sie nicht alleine wohnen, ihrem Partner, ihrem Kind einander gegenüber. Strecken sie sich die nach vorne gewandten Handflächen entgegen, als ob sie sich berühren wollten. Aber kurz davor halten sie inne. Halte sie es aus, diese kleine Distanz – und spüren Sie dem nach, wie dennoch eine Art Energie fließt. Wenn Sie mögen, schließen Sie dabei die Augen.
Falls Sie alleine wohnen: Das geht auch mit sich selbst: Tun Sie so, als wollten sie vor sich Ihre Handinnenflächen aufeinander legen. Aber kurz davor halten Sie inne. Und spüren nach, ob und wie da eine Art von Energie fließt. Und dann mögen Sie an jemand denken, der Ihre guten Gedanken braucht.

Kleines Gebet:
Jesus,
wenn ich mir zu sicher bin
über mich, über andere,
über Gott und die Welt,
dann sag es mir: Rühr mich nicht an.
Wenn ich meine, ich muss alleine fertig werden mit allem,
dann rühr mich an
durch die Nähe eines anderen.
Und wenn ich meine, alles habe doch keinen Sinn,
und mein Leben schon gar nicht,
dann lass mich auferstehen.
Bring mich neu auf den weg,
und der führt vermutlich zu anderen Menschen,
die gerade mich jetzt brauchen.
Und wenn es „nur“ ein Anruf ist, den ich erhalte.