Die Opferung Isaaks – und was opfern wir gerade?

Am vergangenen Sonntag wäre als Lesung aus dem Alten Testament einer der abgründigsten Geschichten dran gewesen, die sogenannte „Opferung Isaaks“, nun in der revidierten Luther-Übersetzung auch „Das Opfer Abrahams“ genannt.
Isaak: Der lang ersehnte und verheißene gemeinsame Sohn von Abraham und Sara, ihr einziges gemeinsames Kind.
Und die Geschichte aus 1. Mose 22:

1 Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. 2 Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.
3 Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. 4 Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne. 5 Und Abraham sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.
6 Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. 7 Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? 8 Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander.
9 Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz 10 und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.
11 Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. 12 Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.
13 Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt. 14 Und Abraham nannte die Stätte „Der HERR sieht“. Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da der HERR sich sehen lässt.
15 Und der Engel des HERRN rief Abraham abermals vom Himmel her 16 und sprach: Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht der HERR: Weil du solches getan hast und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont, 17 will ich dich segnen und deine Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres, und deine Nachkommen sollen die Tore ihrer Feinde besitzen; 18 und durch deine Nachkommen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, weil du meiner Stimme gehorcht hast.
19 So kehrte Abraham zurück zu seinen Knechten. Und sie machten sich auf und zogen miteinander nach Beerscheba und Abraham blieb daselbst.

Diese Geschichte ist abgründig und enthält viele Ebenen, über Gott und wer er ist und wer er wirklich ist, nach zu denken und was heißt hier eigentlich: auf Gott hören?
Und wie fast immer gibt es in der Bibel dazu eine Gegengeschichte, sie steht im Buch der sogenannten Richter: Der israelitische Stammesführer Jeftah steht mit dem Rücken an der Wand, die Ammoniter haben etwas dagegen, dass er und sein Volk in Frieden existieren kann.
Und da wird nun erzählt:

Ri 11,30-40
30 Und Jeftah gelobte dem HERRN ein Gelübde und sprach: Gibst du die Ammoniter in meine Hand, 31 so soll, was mir aus meiner Haustür entgegengeht, wenn ich von den Ammonitern heil zurückkomme, dem HERRN gehören, und ich will’s als Brandopfer darbringen. 32 So zog Jeftah gegen die Ammoniter in den Kampf. Und der HERR gab sie in seine Hand. 33 Und er schlug sie mit gewaltigen Schlägen von Aroër an bis hin nach Minnit, zwanzig Städte, und bis nach Abel-Keramim. So wurden die Ammoniter gedemütigt vor den Israeliten.
34 Als nun Jeftah nach Mizpa zu seinem Hause kam, siehe, da geht seine Tochter heraus ihm entgegen mit Pauken im Reigen. Sie war sein einziges Kind, und er hatte sonst keinen Sohn und keine Tochter. 35 Und als er sie sah, zerriss er seine Kleider und sprach: Ach, meine Tochter, wie beugst du mich und betrübst mich! Denn ich habe meinen Mund aufgetan vor dem HERRN und kann’s nicht widerrufen. 36 Sie aber sprach: Mein Vater, hast du deinen Mund aufgetan vor dem HERRN, so tu mit mir, wie dein Mund geredet hat, nachdem der HERR dich gerächt hat an deinen Feinden, den Ammonitern.
37 Und sie sprach zu ihrem Vater: Du wollest mir das gewähren: Lass mir zwei Monate, dass ich hingehe auf die Berge und meine Jungfrauschaft beweine mit meinen Gespielinnen. 38 Er sprach: Geh hin!, und ließ sie zwei Monate gehen. Da ging sie hin mit ihren Gespielinnen und beweinte ihre Jungfrauschaft auf den Bergen. 39 Und nach zwei Monaten kam sie zurück zu ihrem Vater. Und er tat ihr, wie er gelobt hatte, und sie hatte nie einen Mann erkannt. Und es ward Brauch in Israel, 40 dass die Töchter Israel jährlich hingehen, zu klagen um die Tochter Jeftahs, des Gileaditers, vier Tage im Jahr.

Hier steht ein Mensch zu seinem Wort vor Gott.
Mit tödlichen Folgen für sein Kind.
Kein Ersatzopfer…

Die Geschichte von Abraham zusammen mit dieser lässt unter vielem mich fragen: Welches Bild mache ich mir von Gott, was halte ich für sein Gebot?
Und die Bibel selber gibt als Auskunft: Nicht alles, was als Wort Gottes daherkommt, muss auch wirklich Gottes Wort sein. Und nicht alles, was Menschen vor Gott geloben, geht auch zu Gott. Vieles eher zum Teufel.

D.h., letzlich muss man ein bibelwort, und darin besonders die ausdrücklich als Gottes Wort gekennzeichneten Stellen (dazu gehören auch Engelworte und anderes) immer im Kontext lesen, und der Kontext ist gewaltig: Die ganze Bibel. Die ganze Entwicklung im hin und her und vor und zurück, was Gott denn wirklich will, wie er ist, und was er uns als Leben gebietet. So gehört zu dieser Geschichte dann auch die Geschichte Jesu, nicht als Antwort, sondern als Kontext. Besonders die Leidensgeschichte.

Nun fragen wir heute weniger nach Gottes Stimme, die uns leiten könnte in bedrängenden, auch ethischen Fragen (z.B.: Wer soll bei Krankenhausüberbelegung vorrangig behandelt werden, wer ist nicht mehr behandlungswürdig?).
Wir fragen nach der Stimme der Vernunft. Und ich befürchte, da ist es nicht viel anders. Nicht überall, wo Vernunft draufsteht, ist auch welche drin.
Die Vernunft erfordert zur Zeit nicht nur unsere Solidarität neu, sondern auch unsere Freiheit: Da wird viel geopfert. Und inzwischen wird darüber nachgedacht, dass wir zwangsweise freiwillig uns orten lassen. Handy macht‘s möglich (wobei: Die Freiheit, unerkannt und frei uns zu bewegen, haben wir ja schon aufgegeben: Google und Facebook und so weiter wissen Bescheid!).
Was opfern wir derzeit auf dem Altar der Vernunft? Was auf dem der Bequemlichkeit? Was auf dem Alter der Sorge um unser Wohlergehen? Der Gesundheit? Und so weiter… Zur Zeit geht es um die Opferung von Grundwerten, um Regeln des Grundgesetzes…
Und es ist nicht einfach, die Stimme der wahren Vernunft zu hören, sie dann auch zu befolgen. Zumal eine herzlose, kalte Vernunft gnadenlos Opfer fordert. Weisheit hingegen setzt herzlichen Vernunftgebrauch voraus.
Diese abgründigen Bibelstellen (und es gibt noch mehr davon) fordern heraus zur kritischen Frage: Was ist denn nun die wahre Stimme Gottes? Was ist wirklich wahrhaftig in meinem Leben, meinen Tun und Handeln und Sein und Lassen?
Wenn ich das schon bei Gottes Worten fragen darf – dann wohl erst recht bei allem, was scheinbar menschenvernünftig daherkommt.
Vielleicht ist die erste Stimme der Vernunft einfach – die kritische Frage: Ist das wirklich so? Wem nützt es? Wer und was wird geopfert? Und was, wenn diese Opfer keine sein dürfen?
Die biblische Geschichte stellt Fragen. Und vielleicht ist genau das gut so.
Ich denke mir, genau hier reichen sich alle Wissenschaften die Hand: Die Naturwissenschaft incl. der Naturphilosophie, die Geisteswissenschaften incl. der Theologie, die Gesellschaftswissenschaften incl. Politik und Ethik, die Erziehungswissenschaften incl. der Erziehung von Kindern zu fragenden Wesen und so weiter.

Beispiel: wir haben da bis in die Rechtsprechung (Erbrecht z.B.) hinein so unsere Vorstellung von Vaterschaft und Mutterschaft und Familie.
Muss das wirklich unbedingt so sein? Ich habe von einem Volk aus Südostasien gehört, da ist die leibliche, also genetische Vaterschaft und Mutterschaft eine Sache der reinen Fortpflanzung. Aber Vater / Mutter ist für ein Kind der, der sich ums Kind kümmert. Und das können andere Mitglieder der Gemeinschaft sein. Da ist das anders geregelt. Und so frage ich: Was wäre, wenn wir auch die Kinder, die nicht unsere sind, als die unseren betrachten? Und ebenso das Wohlergehen der „Alten“ als unsere gemeinsame Aufgabe? Und leibliche / genetische Zusammenhänge als sekundär betrachten? Wäre es nicht „menschlicher“? Löwen bringen wg. der genetischen Vaterschaft ja fremde Löwenkinder um…
Und noch einmal Abrahams Geschichte: Da war sein erster Sohn, Ismael.
Galt der nichts?
Immerhin heißt der „Gott hat erhört“.