Auf dem Weg zu Palmsonntag 2020 – Gedankensplitter zu den biblischen Texten VI

Jedem Sonntag sind ein Psalm, ein Abschnitt aus den Evangelien als Evangelium zum Sonntag, ein Abschnitt aus dem Ersten Testament (früher „Altes Testament“), ein Abschnitt aus einem der neutestamentlichen Briefe und noch drei weitere Bibeltexte zugeordnet.

Manchmal kommen mir Tränen der Freude. Ich erfahre, wie so viele Mitmenschen kreativ Zeichen einer Mitmenschlichkeit setzen, die ich einfach nur gut christlich nennen kann. Sie setzen Lebenszeichen wider tödliche Bedrohung.
Ob das so bleibt, wenn diese Seuche gegangen ist und neue (und auch alte) Herausforderungen (wieder) erscheinen? Z.B. die Sache mit der gemeinsamen Verantwortung für diese Welt und der Begrenzung des Schadens, den wir Menschen ihr mittlerweile zugefügt haben?
Schön wäre es.
Doch da ist wegen allem auch die Furcht, es könne einen selber treffen, oder Menschen, die einem am Herzen liegen. Aus der Furcht wird leicht irrationale Angst. Und die schlägt um in Aggression und Wahn.
Ich hörte gestern, wie eine französische Krankenschwester Drohbriefe in ihrem Briefkasten vorfand und ein Arzt anonym zum Wegzug aus seinem Viertel aufgefordert wurde.
#Hass# erhebt wieder sein Gesicht.
Heute morgen eine in gebotener Distanz geführte Unterhaltung: Wenn das vorbei ist, dann ist alles, was wir zur Zeit positiv erleben, auch vorbei. Alte Verhaltensweisen feiern „fröhliche“ Urständ, es ist da wie mit den guten Vorsätzen zu Neujahr.

Und nun begegnet mir ein weiterer Bibeltext von Palmsonntag, der in dieser Lage fast für sich spricht:

Aus Hebräerbrief 11 und 12:

1 Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. 2 In diesem Glauben haben die Alten Gottes Zeugnis empfangen.
8 Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, an einen Ort zu ziehen, den er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme. 9 Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen im Land der Verheißung wie in einem fremden Land und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung. 10 Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.
11 Durch den Glauben empfing auch Sara, die unfruchtbar war, Kraft, Nachkommen hervorzubringen trotz ihres Alters; denn sie hielt den für treu, der es verheißen hatte. 12 Darum sind auch von dem einen, dessen Kraft schon erstorben war, so viele gezeugt worden wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Ufer des Meeres, der unzählig ist.
39 Diese alle haben durch den Glauben Gottes Zeugnis empfangen und doch nicht die Verheißung erlangt, 40 weil Gott etwas Besseres für uns vorgesehen hat: dass sie nicht ohne uns vollendet würden.

12 1 Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns umstrickt. Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist,
2 und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes.
3 Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.

Ob Dietrich Bonhoeffer an diese Worte dachte, als er einst in der Isolation im Gefängnis sein berühmtes Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ schrieb?
Es ist nicht immer leicht, sich nicht von den eigenen irrationalen Ängsten beherrschen zu lassen, dafür aber getrost Sorge für die Zukunft zu tragen.
Die Verfasserin des Hebräerbriefes verweist darauf: Wir sind nicht allein.
Auch wenn wir allein sind:
Unsichtbar umgibt uns eine „Wolke von Zeugen“ guter Hoffnung als Lebensgrundlage für Besonnenheit und, wie es im Morgengebet der Benediktiner heißt: „Gott lasse unsere Liebe immer reicher werden an Einsicht und Verständnis, damit wir lernen, worauf es ankommt…“ (vgl. Philipperbrief 1,9f.)
Der Glaube, also das Festhalten an Gottes Liebe zu allen, ist für einen einzelnen bisweilen ganz schwer. Doch wir können einander tragen, weil uns der Glaube vieler anderer trägt. Und mittendrin als Dreh- und Angelpunkt der Weltgeschichte Gottes Jesus Christus. In ihm selbst Gott, der an uns glaubt. Damit wir werden, wie es hie und da und auch dieser Zeit unter uns hoffnungsvoll aufblüht.
„Die Wolke der Zeugen“ nannte sich einst ein Buch von einem evangelischen Pfarrer. Er griff auf evangelische Weise die katholische und orthodoxe Tradition der Achtsamkeit auf „Heilige“ auf. Diese „heiligen“ Menschen lebten jeweils eine Farbe der Liebe Gottes. Wenn wir uns deren Leben anschauen, können wir uns in uns selbst vertiefen, die Tiefe des eigenen Leben ergründen: Was ist meine Lebensfarbe? Wozu lebe ich – und für wen? Was ist mein Teil an der Aufgabe, die sich Gott gestellt hat, um diese Welt besseren Zeiten entgegen zu führen? Was ist mein Part, wenn wir versuchen, der göttlichen, weil wahren Mitmenschlichkeit Jesu nach zu folgen in unseren Zeiten?

2006 erschien eine Art Neuauflage dieses „Heiligenkalenders“ : „Woran sie glaubten – wofür sie lebten“. Vorbilder für die 365 Tage des Jahres.
Heute, am 4. April wird an den Todestag von Martin Luther King erinnert.
Übrigens: Die tatsächlichen oder angenommenen Todestage von „Heiligen“ gelten als zweiter und endgültiger Geburtstag: Sie sind da angekommen, wo Jesus zu Ostern hinging: Ganz in der Wirklichkeit des lebendigen Gottes. Und somit sind und bleiben sie uns präsent.
Martin Luther King: Ich denke, der ist bekannt, ansonsten siehe Wikipedia.
In dem erwähnten Kalenderbuch wird zitiert, was er unter anderem am 4. April 1967 (also genau ein Jahr vor seiner Ermordung) in der Riverside Church in New York erklärte, und ich re-zitiere:

Ich muss meiner Überzeugung treu bleiben, mit allen Men¬schen zu den Kindern des lebendigen Gottes zu gehören. Diese Berufung zur Kindschaft und zur Brüderlichkeit geht über die Bindung an eine Rasse, eine Nation oder ein Glaubensbekenntnis hinaus. Und weil ich glaube, dass dem Vater besonders die Leidenden, Hilflosen und Verachteten unter seinen Kindern am Herzen liegen, komme ich heute Abend hierher, um für sie zu sprechen…. Wir sind gerufen, für die Schwachen zu sprechen, für die, die keine Stimme haben, für die Opfer unserer Nation und für die, die sie Feinde nennt. Denn keine von Menschen gemachte Erklärung kann diese Menschen zu weniger machen als zu unseren Brüdern.

Und Schwestern.
Und nun das erwähnte Gedicht von Dieterich Bonhoeffer:

Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.

Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.

Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken
und dann gehört dir unser Leben ganz.

Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Lasst uns aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, … dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.