Auf dem Weg zu Palmsonntag 2020 – Gedankensplitter zu den biblischen Texten VII (Psalmsonntag)

Jedem Sonntag sind ein Psalm, ein Abschnitt aus den Evangelien als Evangelium zum Sonntag, ein Abschnitt aus dem Ersten Testament (früher „Altes Testament“), ein Abschnitt aus einem der neutestamentlichen Briefe und noch drei weitere Bibeltexte zugeordnet.

Die Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas erzählen: Nach dem Jesus mit den Seinen das „letzte“ Abendmahl (gleichsam als letzter Wille) gefeiert hatte, ging er zum Garten Gethsemane. Dort rang er zutiefst erschüttert betend mit Gott und seinem Leben.

Anders der Evangelist Johannes. Dort äußert Jesus seinen letzten Willen in einer längeren Abschiedsrede an die Seinen (Tenor: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe; wir finden in Gott wieder zusammen).
Danach betet er in einer Weise, bei der ich den Eindruck habe: Hier ist Jesus eins mit Gott und sich und dem Sinn seines Lebens bis zum Schluss. Er lebt ganz und gar aus seiner inneren Mitte heraus und wird auch so sterben.
Ich zitiere den 7. Text von Palmsonntag, ein Abschnitt aus dem 17. Kapitel des Johannesevangeliums:

1 Solches redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen: Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche; 2 so wie du ihm Macht gegeben hast über alle Menschen, auf dass er ihnen alles gebe, was du ihm gegeben hast: das ewige Leben. 3 Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. 4 Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue. 5 Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.
6 Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. 7 Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. 8 Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast.

Bei allem, worüber sich nachzudenken lohnt: Meine Augen und dann meine Gedanken blieben bei dem Vers hängen, der in der Lutherbibel durch Fettdruck markiert ist:
„Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.“

„Ewig“ heißt nicht „unendliche Zeit“ im Sinne unserer Zeitmessung.
Wir als Menschen erleben Zeit und alles, was da ist, ist in der Zeit. Wobei das mit der Zeit so eine Sache ist…
Im Unterschied dazu ist „Ewig“ eine Eigenschaft Gottes und daher etwas völlig anderes. „Ewig“ steht außerhalb unserer Welt Zeit. Der Begriff ist fast gleichbedeutend mit „heilig“.
„Ewig“ Leben hieße dann: Zu einem irdischen Zeitpunkt so mit sich und allem eins sein, so nah und sinnerfüllt, dass dieser Augenblick das sprengt, was man sonst als Zeit im Vergehen und Werden erlebt. Wer solches einmal erlebte, fühlt sich zutiefst geborgen.
Von Buddha wird überliefert, er habe schließlich zur „Erleuchtung“ gefunden und sei da ins Nirwana (unendlicher Seinsgrund, in dem alles aufgehoben ist) eingegangen. Er war mitnichten gestorben. Aber er hatte diese Phase auf seine Weise erlebt.
Hier (und auch sonst) in unserer Bibel ist das mit „Gott“ und „Jesus“ verbunden. Mit „erkennen“ der Wahrheit Gottes und dem Sinn von Jesu Dasein für uns. „Erkennen“: Das griechische Wort „gignoskein“, das im Original des Neuen Testamentes verwendet wird, meint ähnlich wie unser Wort „erkennen“ eine Fähigkeit des Verstandes: Plötzlich geht einem ein Licht auf, nachdem man fleißig jemand oder etwas nachgedacht hat mit allen Mitteln der Vernunft.
Doch Jesus selbst sprach aramäisch und lebte in der Welt seiner hebräischen Bibel. Hinter „erkennen“ steht dann das entsprechende Wort „jada‘ “. Das ist ein inniges, herzliches erkennen. Ein „eins“ werden. So „erkannte“ Adam seine Frau Eva, und heraus kam neues Leben. Oder Abraham erkannte seine Frau Sarah. Und so weiter. Ein leiblicher Vorgang ist mehr als „Sex“ (klingt technisch und ist oft auch so), da werden zwei Wesen innigst eins. Zeit steht still.
Analog dazu gibt es Momente, wenigstens haben das sogenannte Mystiker so erlebt, da schiebt sich zwischen Gott und Mensch kein Blatt mehr.
Da herrscht unsagbare „Innigkeit“. Ein herzliches Einverständnis. „Ewigkeit“ in der Zeit.
Diese „Ewigkeit“ kann gesucht – und, so wird es verheißen, auch gefunden – werden, wo man Jesu Leben und Sterben, sein Da sein einschließlich der Botschaft von Ostern, immer und immer wieder meditiert, sich zu Herzen nimmt, mitten in der Zeit sich Auszeit gönnt und sein Leben, seine Worte ganz persönlich nimmt. Zugleich bleibt es ein Geschenk, wo immer es und wann immer es geschieht. Und sei es in jener Sekunde der Zeitstille, wo man seinen sogenannten letzten Atemzug tut.
Und bisweilen erscheint diese „Ewigkeit“ im „Erkennen“ auch ganz weltlich.
Ich re-zitiere aus meiner ungehaltenen Predigt von vor vier Wochen:

Der Schweizer Kolumnenschreiber Lorenz Marti, eine Art weltlicher Mystiker, hat mich auf ein Theaterstück von Ludwig Anzengruber aufmerksam gemacht. Es heißt Der Kreuzelschreiber.

„Im Mittelpunkt des Stücks steht Steinklopferhans, ein Querdenker und Außenseiter. Er ist als uneheliches Kind einer Kuhmagd aufgewachsen und musste schon früh in einem Steinbruch hoch oben am Berg arbeiten. Dabei erkrankte er schwer, ohne dass sich jemand um ihn gekümmert hätte. Mit letzten Kräften schleppte er sich auf eine Wiese, legte sich ins Gras und hoffte, nie mehr aufzuwachen. Er schlief ein wie tot.
Als am Abend die Sonne unterging, erwachte Steinklopferhans, und ein unerklärliches Wohlgefühl durchströmte ihn, als ob die Sonne in ihm weiterleuchten würde. Er fühlte sich aufgehoben und erlebte eine allumfassende Geborgenheit. Von diesem Moment an wusste er, dass ihm nichts passieren konnte, wie auch immer die äußeren Umstände sein mochten: „Es kann dir nix g’schehn! – Du g’hörst zu dem all’n, und dös alles g’hört zu dir! Es kann dir nix g’schehn!“

(Gelesen in: Lorenz Marti, Türen auf! Spiritualität für freie Geister, Freiburg im Breisgau 2019, S. 80 – 82 „Ergriffenheit und Einheit“)

Die Fragen an Gott und die Welt und ans Leben und damit Skepsis und Zweifel bleiben. Aber im Hintergrund erklingt als Grundmelodie des Lebens:
„Es kann dir nix g’schehn! – Du g’hörst zu dem all’n, und dös alles g’hört zu dir! Es kann dir nix g’schehn!“

Mehr kann ich eigentlich uns allen nicht wünschen.
Gott gebe es. Und es ist alle Zeit wert, sich Zeit zu nehmen und solcher „Erkenntnissuche“ zu widmen.
P.S.: Das ist auch ein gutes Heilmittel gegen den Hochmut, alle Wahrheit, und sei es die tiefgläubigste, für sich gepachtet zu haben.
Im Gegenteil.